Zum Schweigen verurteilt

Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine bewegende und hervorragend authentische Schilderung eines Schlaganfall-Patienten, der sich quasi "von fast null" auf ein annähernd normales Leben heraufarbeitete, dank der Hilfe qualifizierter Fachleute, seiner Verwandten und Freunde sowie seiner eigenen Energie. Der Autor — und das setzt ein hohes Maß der Verarbeitung seiner Selbsterfahrung voraus — erkennt seine eigene Situation und seine Reaktionen, z.B. sein "Ausflippen", seine Ungeduld usw., das geht hin bis zu Erkenntnissen wie "Entweder ich werde am Schweigen sterben" oder "Ja, meine Welt ist anders als Eure. Da beißt keine Maus den Faden ab." Der Text schildert das Sein zwischen Hoffnung und Depression, ist voller Mitfühlen mit dem Schicksal der Mit-Patienten und ist dadurch durch ein hohes Maß an sozialer Verantwortung geprägt. Andererseits ist er auch durchaus humorvoll (Beispiele wären: "Na endlich setze ich meine Mütze ab — und was soll ich euch sagen: Der Autoschlüssel wie er leibt und lebt, unter meiner Mütze" oder "Die Tonleitern nicht getroffen — aber ein paar Klänge schon" oder, ein letztes Beispiel, die Schilderung der Landung in einem Ameisenhaufen anläßlich einer Radfahrt.

Die hohe Authentizität resultiert aus Dateneinschüben, Fotos, Originalaufsätzen, Briefwechselkopien mit Behörden und Versicherungen, Originalseiten von Ansprachen und, nicht zuletzt, aus der fehlerhaften Grammatik und Rechtschreibung. Ohne Letzteres wäre das alles viel weniger überzeugend! Der Darstellungsstil ist schwungvoll, "normal", und die Textteile greifen harmonisch ineinander. Das tun sie trotz der eigentlich anzunehmenden Schwierigkeit des Autors, einem klaren Gedankenfluß zu folgen. Das heißt jedoch, daß die erwähnte Schwierigkeit gar nicht da ist. Diese logischen Verbindungen sind das "Markenzeichen" des Autors, und damit ist er (als Schlaganfall-Patient) der ideale Verfasser eines solchen Textes. Ein Werk, das Betroffenen Mut macht!

Peter Kerner

 

 

Vorwort 1 von Prof. Meier-Baumgartner, Albertinen-Haus/Hamburg

 

Liebe Leserinnen und Leser,

vor Ihnen liegt ein Buch, das im besten Sinne des Wortes einen Selbsterfahrungsbericht darstellt. Es ist ein Bericht, wie der Untertitel sagt, über fünf Jahre Kampf gegen die Behinderungen, die ein Schlaganfall in das Leben von Herrn Reinhold gebracht hat.

Die Geschichte der fünf Jahre zeigt aber nicht nur Kampf, sondern sie zeugt von Wut, Ausdauer, Neugier und Kraft einer Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit, die letztlich über die schwere Behinderung, besonders auch die Sprachbehinderung siegt.

Herr Reinhold erzählt in seinem Buch seine ganz persönliche Geschichte, Erlebnisse aus dem privaten Bereich, Erlebnisse aus dem Bereich des Krankenhauses, der Rehabilitationseinrichtungen, er erzählt die Erfahrungen mit vielerlei Konzepten,Therapeuten und Ärzten. Quintessenz dieses Berichts ist die Erkenntnis, daß Leben Lernen ist, daß ein Bedauern mitschwingen darf, mitschwingen aber nie lähmen darf. Diesbezüglich ist dieses Buch in zweierlei Hinsicht Hilfe. Für Betroffene ist es sowohl eine Auskunftstelle über verschiedene therapeutische Möglichkeiten, gleichzeitig Ansporn, nie den Mut zu verlieren.

Für uns Professionelle ist dieses Buch Anlaß zur Freude. Es ist schön zu sehen und zu spüren, daß wir alle beteiligt sind an einem Prozeß der Heilung, daß wir mithelfen durften, jeder auf seine Art, Herrn Reinhold zu begleiten und zu unterstützen.

Ich durfte Herrn Reinhold in den letzten Jahren von Zeit zu Zeit sehen, spürte seine Neugier, seine kritische Neugier und sein Hinterfragen, manchmal allzu sicherer Antworten und Prognosen.

Ich möchte Herrn Reinhold zu seinem Werk gratulieren. Ich hoffe, daß viele Professionelle, aber auch viele Betroffene davon Kenntnis nehmen, um selbst zu lernen oder wieder neuen Mut zu fassen.

Ich wünsche dem Autor weitere gute Erfahrungen mit uns Therapeuten und eine heitere Gelassenheit als gewissermaßen Professioneller im Umgang mit uns. Dem Buch wünsche ich eine große Verbreitung.

 

Hamburg, im August 2000

Prof. Dr. H.P. Meier-Baumgartner, Ärztlicher Direktor der Medizinisch-Geriatrischen Klinik ‘Albertinen-Haus’

 

 

Vorwort 2 von Heike D. Grün / Logopädin, Hamburg

 

Liebe Leserinnen und Leser,

"Zum Schweigen verurteilt" ist ein Buch, das Hoffnung und Mut macht! Ein Buch von einem Aphasiker für Aphasiker, Angehörige, Sprachgesunde und Fachleute.

Im Juni 1995 begann der Autor, Herr Reinhold, eine logopädische Behandlung in meiner Praxis. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon einen langen Weg der Rehabilitation zurückgelegt und viel erreicht. Er hatte sich aber höhere Ziele gesteckt: er wollte die noch bestehenden Wortfindungsstörungen, die immer noch auftretenden Lautveränderungen bei der Wortbildung (phonematische Paraphasien) und die Formulierungsschwierigkeiten beseitigen. Das Schreiben und Lesen sowie das ‘abgehackte’ Sprechen sollten flüssiger werden, und bei Gesprächen wollte er sich besser konzentrieren und mehr merken können. Besonders wütend machten ihn Situationen, in denen er psychisch stark unter Druck stand, weil sich dann alle sprachlichen Probleme verstärkten. Herr Reinhold hatte ein großes Störungsbewußtsein mit einem hohen Leidensdruck. Er wirkte empfindsam, ehrgeizig, willensstark und interessiert. Seine menschliche Offenheit und seine kreativen Gedanken konnte er durch die blockierte Sprache nicht mehr zum Ausdruck bringen. Wie viele Restaphasiker konnte Herr Reinhold den Alltag zwar irgendwie bewältigen, aber er war plötzlichen Blockaden hilflos ausgeliefert und wurde dadurch verunsichert; Wörter und Sätze sagen, die man gar nicht sagen will, oder Schweigen standen zur Wahl.

Für einen nachdenklichen Menschen, der ganz viel mitzuteilen hat, muß mehr sprachlicher Ausdruck und vor allem mehr Mut zum Ausdruck zur Verfügung stehen. Den Ehrgeiz des Patienten zu stützen, die hohen Anforderungen jedoch auch in realistische Bahnen zu lenken, ist eine wegweisende therapeutische Arbeit. So waren unsere logopädischen Sitzungen geprägt durch eine intensive Arbeit an detaillierten Problemen der Aphasie, einem konsequenten Training der mentalen Aktivierung, mündend in ein allgemeines Kommunikationstraining und ein spezielles Kommunikationstraining für ihn schwierige Situationen. In dieser Zeit festigte sich auch der Wunsch Herrn Reinholds, ein Buch zu schreiben. Herr Reinhold hat gelernt, seine ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Möglichkeiten gezielter und wirkungsvoller einzusetzen. Sein Ausdruck wurde sicherer und lebendiger.

Die nie endenden Fragen, der nie müde werdende Wille, der zusehends wachsende Mut Herrn Reinholds kennzeichneten unsere therapeutische Arbeit. Es war eine gemeinsame spannende Arbeit.

Ich wünsche Herrn Reinhold weiterhin Willenskraft und Mut und seinem Buch eine erfolgreiche, weite Verbreitung.

 

Hamburg, im September 2000

Heike D. Grün / Logopädin u. Trainerin für Mentale Aktivierung/Hamburg

 

 

Nachwort von Dr. Luise Lutz, Sprachtherapeutin/Hamburg

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Als ich Gerhard Reinhold ein halbes Jahr nach seinem Schlaganfall kennenlernte, war seine Sprache fast weg, seine rechte Seite war gelähmt, er konnte sein Geschäft nicht führen, er konnte all das, was ihm Spaß machte (wandern, radeln, fliegen, mit seiner Trompete jazzen und vieles mehr) nicht mehr machen — kurz, er war aus seinem Leben herauskatapultiert, und niemand konnte ihm sagen, ob und wann er wieder hineinfinden würde.

Man sah ihm den Kummer und die Verzweiflung an, aber in seinen Augen war auch damals schon Energie und sogar ein Rest Lachen. Selbst in dieser schlimmen Anfangszeit entdeckte er Positives: "Was für ein Glück, daß es nicht im Flugzeug passiert ist!" (im Flugzeug, das er selbst steuerte). Was er einige Zeit später über einen Busausflug sagte, war von Anfang an als Grundhaltung erkennbar: " ... ein vergnüglicher Nachmittag ist zu ende gegangen — ja. Aber ich konnte nicht werfen, ich konnte nicht laufen, ich konnte nicht reden — nichts konnte ich, als die anderen zu beobachten. Na ja, es war auch so schön ... "

Wer selbst oder aus nächster Nähe einen Schlaganfall mit Aphasie erlebt hat, kann ermessen, was an Kraft, Weisheit und Humor nötig ist, um zu dieser Haltung zu kommen. Jeder Tag ist von morgens bis abends voll unerwarteter Tücken, alle Selbstverständlichkeiten wachsen sich zu Problemen aus: mit nur einer Hand eine Flasche aufmachen, ein Ei essen, gar nicht zu reden vom Telefonieren, vom Notieren einer Nachricht, vom Wunsch, "Danke" oder "Schlaf gut" zu sagen. Gerhard Reinhold hätte genügend Stoff zu einem Wälzer voller Klagen gehabt, aber nein, im Gegenteil, er nimmt uns mit in eine bunte Welt voller Reiseabenteuer und guter Freunde, voller Feiern und herrlicher Mahlzeiten. Und mittendrin, manchmal fast versteckt, manchmal deutlicher, Episoden, die uns ahnen lassen, womit er sich herumschlagen mußte: "Da bei rutschte ich aus und fiel auch mein Gesicht. Und das blutede und bluhtete. Ja und ich kam im Haupthaus so ganz lässig an, aber mir war doch ganz anderes."

Ist Gerhard Reinhold ein typischer Aphasiker? Ja und nein. Ja, weil seine Aphasie so schwer und so langwierig war wie viele Aphasien eben sind. Nein, aus mehreren Gründen.

Erstens, weil er so ist, wie er ist: "Ich lebe, und ich lebe gern." Diese Einstellung, die er vor dem Schlaganfall hatte und die er trotz des Schlaganfalls immer behielt, hat ihm sicher die notwendige Durchhaltekraft gegeben. Nicht jeder Aphasiker hat dieses positive Lebensgefühl, das über schlimme Abgründe hinwegträgt. Viele Aphasiker, aber zum Glück nicht alle, verlieren — verständlicherweise — ihre Lebensfreude. Das macht sie mutlos und hindert sie, Fortschritte zu machen.

Aus einem zweiten Grund ist er nicht typisch: Er hat Glück, er hat immer wieder viel Glück. Er hat das Glück, eine verständnisvolle Familie zu haben, eine liebevolle Frau, hilfsbereite Söhne und Schwiegertöchter. Sie hören geduldig zu, wenn er Unverständliches spricht, sie verbessern ihn nicht ständig, sie sind nicht überfürsorglich und sind doch für ihn da. Das ist nicht selbstverständlich. In vielen Familien, die mit Aphasie geschlagen sind, überwiegt die Verzweiflung. Viele nichtaphasische Ehepartner finden — verständlicherweise — nur schwer die richtige Art, mit den aphasischen Problemen umzugehen. Mißverständnisse und Vorwürfe sind die Folge, das Zusammenleben wird zur Qual. In der Reinhold-Familie hat es sicher auch Probleme gegeben, denn sie bleiben bei Aphasie nicht aus, aber alle waren großherzig genug, nach Ungeduld, Aggressionen, Wutausbrüchen wieder zu einander zu finden.

Gerhard Reinhold hatte das Glück, seine Freunde zu behalten. Auch das ist nicht selbstverständlich. Viele Aphasiker verlieren ihren Freundeskreis, weil die Sprachlosigkeit bei den Gesprächspartnern Hilflosigkeit auslöst: Man weiß nicht, was man sagen soll und bleibt lieber weg. Freunde, Nachbarn, Kollegen kommen nicht mehr. Wenn erst einmal die Kontakte abgebrochen sind, kann man nur schwer aus der Einsamkeit wieder herausfinden. Wer wir sind, was wir sind, müssen wir immer wieder von den anderen erfahren. Gerhard Reinhold sagt, am Ende seines Buches: "Reden ist Atmen der Seele." Die Gefahr besteht, daß in der Einsamkeit der Aphasie die Seele allmählich eingeht.

Die Gefahr der Vereinsamung ist bei Aphasie so groß, weil über Aphasie in der Öffentlichkeit so wenig bekannt ist. Fast jeder weiß, wie ein Auto funktioniert, aber wie die Sprache funktioniert oder was los ist, wenn sie nicht mehr funktioniert, das kann man sich normalerweise nicht vorstellen. Wir sind gewohnt, unsere Gesprächspartner unter anderem danach zu beurteilen, was sie sagen und wie sie es sagen. Wir schließen von den Worten auf den Verstand und die Persönlichkeit, und das darf man bei Aphasie nicht. Aphasiker haben noch den gleichen Verstand und die gleiche Persönlichkeit wie vor dem Ausbruch der Aphasie, aber bestimmte Verletzungen in der linken Gehirnhälfte hindern ihre Sprachprozesse, das Gedachte und Gefühlte in Sprache umzusetzen. Ein Aphasiker weiß genau, was er sagen will, aber seine Sprachprozesse gehorchen ihm nicht und produzieren selbständig etwas anderes: Gerhard Reinhold will "Eisbein" sagen und sagt "Schweinebein", er meint einen Regenbogen und sagt "Sonnenräder". Woher soll man wissen, daß er an Magdeburg denkt, wenn er "Madagaskar" sagt? Es ist sehr viel Wissen über die aphasischen Störungen nötig, wenn man Aphasikern gerecht werden will, und Aufklärung über Aphasie fehlt in vielen Fällen.

Gerhard Reinhold hat auch das Glück gehabt, im medizinischen Bereich die richtige Hilfe zu finden, verständnisvolle und engagierte Ärzte und Therapeuten. Auch das ist nicht so selbstverständlich, wie man es im allgemeinen annimmt.

Es war sicher auch sein persönliches Glück, daß er sich Reisen und besondere Therapien leisten konnte, für die andere Aphasiker kein Geld haben. Und er hatte das besondere Glück, daß seine Aphasie sich durch all das, was er dagegen unternahm, auch wirklich bessern ließ. Auch das ist nicht in jedem Fall möglich.

Er hat zweifellos im Unglück viel Glück gehabt. Das betone ich, weil ich verhindern möchte, daß verschiedenen anderen Aphasikern, deren Aphasien sich nicht oder nur wenig bessern, gesagt wird: "Du mußt so sein wie Gerhard Reinhold, dann wirst du auch deine Sprache wiederbekommen!" Die Aphasien sind unterschiedlich, die Heilungsprozesse sind unterschiedlich schnell — oder, besser gesagt, unterschiedlich langsam, die Energien sind unterschiedlich verteilt. Man kann eine Aphasie nicht mit einer anderen vergleichen.

Nachahmen kann man Gerhard Reinhold nicht. Aber etwas anderes können wir — die Aphasiker, ihre Familien, ihre Freunde, eigentlich wir alle — von ihm lernen: daß man mit unerträglich scheinenden Behinderungen noch gut leben kann, lachen kann, liebenswert sein kann. Ich hoffe, daß neben all den anderen nützlichen Informationen besonders diese Botschaft viele Leser erreicht.

 

Hamburg, im Oktober 2000

Dr. Luise Lutz / Sprachtherapeutin, Hamburg

 

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