Kapitel 1 

So, wie dieser Tag begann, weiß Gott, so endete er nicht. Aber was für ein wunderbarer Morgen!

Durch ein weit geöffnetes Fenster, an dessen Scheiben noch Regenschlieren der letzten Nacht zu sehen waren, schien kühle, frische Morgensonne. Und der Himmel versprach einen heiteren Tag.

Frech und vorwitzig wanderten Sonnenstrahlen im Zimmer umher, polierten Möbel und hellten den dunklen Teppichboden auf. Lichtkringel entwarfen neue Muster und spielten übermütig mit in Ecken liegenden Staubflusen, wirbelten sie hoch ...

Türen eines hellen Ikeakiefernschrankes waren geöffnet, der Luftzug ließ die aufgehängten Kleider herausfordernd hin- und herwehen. Sich eitel drehend, brachten sie Farben und Formen zur Geltung. Schnitte vergangener Moden, aktuelle Farben der Saison - sie schienen alle zu rufen: Komm her, zieh mich an, anziiiieeehhhen ...

Gegenüber des Schranks war ein großer, eckiger Spiegel, eingefaßt in wunderschöne, honigfarbene Leisten.

Kein Lärm stieg aus der gemütlichen Vorstadtstraße hoch in dieses Haus. Noch war es zu früh oder schon zu spät.

 

Die Männer des Wohnviertels, mit seinen spitzgiebeligen Häusern im Charme der späten Fünfziger, kutschierten morgens in ihre Büros und Geschäfte.

Einige Frauen fuhren mit, oder später hinterher - in ihren eigenen Autos. Denn sie hatten Ganztags-, Halbtags-, Teilzeit- oder Stundenjobs.

Legten die Männer den ersten Gang ein, waren ihre Gedanken schon auf das tägliche Arbeitspensum konzentriert. Das Haus, Frau, Kind oder Kinder waren für die nächsten Stunden vergessen.

Kleine Jungen und Mädchen, gewaschen, gekämmt, mit letzten Tränenspuren in den Augenwinkeln, weil niemand den neuen, linken Turnschuh wiedergefunden hatte, wurden von ihren Müttern in den Kindergarten, zur Schule gefahren.

Mütter, Hausfrauen räumten Frühstückskrümel fort, schlossen verschmierte Marmeladengläser, beschäftigten die Spülmaschinen. Und manche von ihnen, vielleicht die, die weder kleine noch große Kinder hatten, legten sich genießerisch zurück ins noch warme Bett. Schlossen mit Behagen ihre Augen, hörten im seligen Halbschlaf nur noch den kurzen Abschiedsgruß ihrer Männer. "Tschüs dann - bis heute abend!"

 

So war es auch in diesem lichtdurchfluteten Raum mit dem schönen Spiegel wunderbar ruhig. Mit äußerst prüfenden Blicken stand davor eine Frau. Mittleres Alter - um die Vierzig.

Ließ sich, nur mit Unterwäsche bekleidet, von der Sonne streicheln, genoß die Wärme auf ihrer Haut, Wärme, die sie vermißte, Wärme, die ihr lange keiner mehr gegeben hatte.

Sie betrachtete sich, reckte die Arme, prüfte auf Festigkeit, schien zufrieden und ließ die Arme leise klatschend an ihre Hüften fallen. Sah kritischen Blickes die Beine rauf und runter.

Doch ja, sie hatte schön geschwungene Waden. Und wenn ihre rundlichen Oberschenkel nur etwas, etwas länger wären, so circa vier bis fünf Zentimeter, hätte sie, Charlotte Kalkstein, geboren am fünften Juli 1956, die schönsten, aufregendsten Beine der Straße, wenn nicht sogar des Stadtviertels. Gut, dachte sie, ich könnte ja hohe Hacken tragen. Aber irgendwie komme ich damit nicht klar, knicke um oder gehe wie ein Landei ...

Ihr Blick verweilte auf ihren weichen, schmiegsamen, etwas üppigen Hüften. Und die Taille? Gott ja, mäßig, doch, es ging so.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: dick - zu dick - war Charlotte nicht.

Nicht zu vergessen: Ihr hübscher, runder Busen - nun, der war perfekt.

Um Charlotte etwas zu verstehen muß man wissen, daß sie sich in ihrer Vorstellung als eine sehr grazile Mädchenfrau sah; schmal, biegsam, irgendwie etwas durchsichtig, ätherisch wirkend ...

So gern, unendlich gern würde sie diesem Traumbild entsprechen!

Nur - Mädchenfrauen hatten keinen Speck auf den Hüften, waren nie, niemals über vierzig!!!

Aber der Spiegel zeigte auch Charlottes sympathisches, offen wirkendes Gesicht. Die leicht gebräunte, gepflegte Haut schmeichelte ihr sehr. Im Sonnenlicht waren leichte Einkerbungen an der Stirn, um die Augen, am Mund zu sehen. Falten waren dies nicht. Es waren die Jahre, die Licht und Schatten warfen. Und wirklich, Charlotte hatte einen wunderschön geschwungenen Mund. Schade, schade, daß die Mundwinkel etwas schlaff herunterhingen. Er wirkte dadurch so unzufrieden.

Mit steiler Stirnfalte sah sie ihre hohen Wangenknochen, die schwarz-blauen, runden Augen, welche oft einen erstaunten Blick hatten.

Charlottes Haare? Ja nun, sie hatten einen hellen Braunton, fast etwas aschig. Mit einer leichten Tönung reflektierte es rötlich und frech.

 

Mit einem breitzinkigem Kamm fuhr sie, die immer noch mit ihrem Taufnamen Charlotte haderte, (Charlotte, wer hieß denn heute Charlotte - was die Eltern sich wohl dabei gedacht hatten!) durch die frischen Locken. Eine neue Frisur, die Charlotte gut stand.

Heribert fand das auch. Er war ihr Mann, seit gut fünfzehn Jahren, und mochte seine Frau immer noch gern. Wirklich gern. Auch wenn er nicht mehr viel Zeit für sie hatte, wie es in den ersten Jahren ihrer Ehe der Fall gewesen war.

Froh war er, daß Charlotte nach den ersten Ehejahren aufgehört hatte zu arbeiten und sich darauf einrichtete, einen kleinen 'Kalkstein junior' zu bekommen. So sehr sie sich auch bemühten, er oder sie kam nicht. An wem es nun gelegen hatte - das wollte das Ehepaar Kalkstein so genau nicht wissen. Irgendwann gaben beide ihre Wartestellung auf, Charlotte blieb im Haus, hatte mit der Zeit einen sehr ruhigen Tag ohne besondere Höhen und Tiefen. Ihre Stunden plätscherten oft nur dahin. Und auch daran hatte sie sich fast gewöhnt.

Aber in den letzten Monaten kamen Unruhe, vages Unbehagen hoch, etwas, was sie zunächst nicht in Worte, noch nicht einmal in klare Gedanken fassen konnte. Es war einfach ein Gefühl ... Aber dieses Gefühl fing an, sich zu verdichten, ließ Strukturen erkennen.

Was war los? Heriberts Kanzlei wuchs, florierte, einige bemerkenswerte Prozesse waren gewonnen, das brachte neue Klienten. Er war gefordert, mußte erweitern, neue Mitarbeiter einstellen und seine ganze Liebe galt seiner Praxis, seiner Arbeit. Von morgens bis abends.

Charlotte bemerkte, daß Heribert in ganz andere Abläufe und Gedanken eingebunden war als sie. In der ersten Zeit erzählte er noch anregend über diesen und jenen Fall, dann wurde es weniger, bis diese Mitteilungen, dieses Hineinbeziehen abbrach, erstarb. Dabei hatte Charlotte schon Interesse an Heriberts neuen Fällen, es gab immer welche darunter, die interessant waren. Denn am Anfang ihrer Beziehung hatte sie auch in einer Anwaltskanzlei gearbeitet, sie wußte, wovon Heribert sprach.

Charlotte fühlte sich einsam und von ihrem Heribert weder besonders geliebt noch begehrt. In den letzten Wochen war er allerdings etwas übermütiger, auch zugänglicher geworden - und sie war dankbar für jede kleine Streicheleinheit.

Heribert war ein konservativer, etwas eitler Mann. Sein rotblondes Haar lichtete sich seit einigen Jahren erheblich, obwohl er regelmäßig mit bekannten Haarwassermarken seine Kopfhaut traktierte. Aber leider - es kamen keine neuen Haare. Die Herstellerversprechungen waren auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Er hatte recht empfindliche, helle Haut, war mit Sommersprossen übersät. Graublaue Augen in einem eher rundlichem Gesicht mit der späteren Neigung zum Doppelkinn. Seine kräftige, leicht untersetzte Figur begann seit einiger Zeit die Form zu verlieren. Um die Taille wurde ein kräftiger Rettungsring sichtbar, fühlbar. Nun, auch sein Bauch war lange nicht mehr so flach, wie er es gern hätte. Beruflich bedingter Bewegungsmangel, abendliche Trägheit und Wochenendfaulheit taten einiges, um ihn älter, gesetzter aussehen zu lassen.

Schräg gegenüber seiner Kanzlei war ein heruntergekommener Altbau mit einer wunderschönen Fassade renoviert worden. Der dreigeschossige Bau sah in den neuen Farben - weiß, die Fensterrahmen anthrazit, mit einer dünnen Schattenlinie in knallrot - phantastisch aus. Hier hatte sich im letzten Herbst ein Fitneßcenter etabliert. So etwas paßte in dieses schöne Haus wirklich nicht hinein - aber gerade dadurch fiel es auf.

Heribert sah in seiner Mittagspause, wenn er zum Italiener rüberlief, oft hin, fing an, die Möglichkeit eines Abonnements in Erwägung zu ziehen.

Wenn er mal mit ganz regelmäßigem Bodybuilding - natürlich nicht zu heftig - die Ärzte sagen doch auch, Sport ja, aber nicht übertreiben - so, daß es seiner Figur, seinem manchmal sehr ausgeprägtem Ego gut tat - anfangen würde ... In aller Heimlichkeit, denn er hatte keine Lust, sich von seiner Frau, Bekannten und Freunden auslachen zu lassen.

Schön, machte Spaß, so ein verschwiegener Wunsch!

Er könnte zusätzlich wieder Radfahren, am Wochenende, vielleicht auch mit Charlotte ...

Frau Bergstedt, eine Mitarbeiterin in seiner Kanzlei, machte ihm Wünsche, verdammt aller Art, äußerst direkt, schmerzhaft deutlich.

Beim Weihnachtsessen im letzten Jahr verriet sie ihm, daß sie - seit Jahren - zum Schwimmen ins Stadtbad fuhr, ins Fitneßstudio ging und viel ihr Rennrad benutzte. Rennrad, da wurde Heribert neidisch. Was hatte er sich als Halbwüchsiger ein Rennrad gewünscht! Gefleht, gebettelt, gespart. Und es half damals nichts, seine Eltern brauchten das Geld immer für andere, wichtigere Dinge.

Und diese Aktivitäten der Carla Bergstedt waren weiß Gott sehr, sehr überzeugend! Schlank, durchtrainiert stand sie selbstbewußt vor ihm, wenn beide einen Fall besprechen mußten. Heribert hatte sogar das unangenehme Gefühl, daß diese Frau ihn manchmal spöttisch, abschätzend musterte. Anders konnte er sich ihren Gesichtsausdruck nicht erklären, wenn sie sich im Büro begegneten. Und genau der machte ihn des öfteren, mehr als des öfteren, recht nachdenklich.

Und so spielte der Anwalt Heribert Kalkstein mit diesem oder jenen Fitneßgedanken. Neue Ideen erfüllten, belebten den Mann mit jugendlichstem Elan, mit Tatkraft und Frische. Heribert kam es manchmal schon vor, als ginge er längst ins Studio.

In seinen Pausen träumte er genüßlich von einem sehr straffen, muskulösem Bauch, von einer unwiderstehlichen männlichen Ausstrahlung. Wenn er so in den Spiegel sah ... doch, doch, das Kinn etwas hochgereckt ... Ob er mal nachts eine Binde ums Kinn packte, zur Straffung - oder an Charlottes teuer glänzenden Cremetöpfchen ging? Ach, sie hatten nur ein gemeinsames Bad. Charlottes Grinsen wollte er dabei nicht sehen. Obwohl - sie war ja auch nicht perfekt. Wie oft sah er sie an ihren rundlichen Oberschenkeln rubbeln und massieren, nun, ihre Hüften hätten eine klitzekleine Abspeckung gut gebrauchen können ...

Mit puterrotem Kopf zog er seinen Bauch ein, um zu sehen, wie dieser schön flach und muskulös aussehen könnte. Er kriegte ihn aber nicht flach, der Rettungsring störte.

Hatte er das Klopfen überhört? Er glotzte erschrocken, scheppernd fiel sein ausklappbarer Handspiegel zu Boden. Doch es war nur die nette Frau Linsen, seine Sekretärin vom Empfang. Sie wedelte vergnügt mit der Tagespost.

 

***

 

Mit oft freudigen, angenehmen Gedankenspielen, so manches Mal mehr als erfüllt davon, kam er nun des öfteren mit festeren, elastischeren Schritten nach Hause.

Seine neuen Gedanken gaben Auftrieb, erhöhten sein Wohlbefinden, steigerten unkontrolliert die Adrenalinzufuhr. Recht übermütig fuhr er, ganz gegen seine inzwischen eingeschliffenen Gewohnheiten, Charlotte durch neugelocktes, frisch getöntes Haar. Er verstieg sich soweit, daß er ihr den seit längerem abhandengekommenen, spitzmündigen Begrüßungskuß wieder auf die rechte Wange hauchte. Neben diesem kleinen, aparten Leberfleckchen, welches er vor langer Zeit bezaubernd fand.

Charlotte - erst war sie irritiert, aber insgeheim hocherfreut über seine lange vermißten Zuwendungen. Sicher erkannte er nun endlich die aufwendigen Bemühungen um ihre tägliche Erhaltungspflege.

Voller Freude durch dieses belebende Ritual bereitete sie dem hart arbeitenden Mann köstliche, kleine Abendgerichte, welche er liebte, zu. Er bemerkte nicht, daß diese Abendleckereien heimtückische Dickmacher waren.

Als genüßliches, sattes Dankeschön strich er mal wieder liebevoll über ihren Rücken, vielleicht auch irgendwann über ihren lange unberührten Busen, nahm sie in den Arm ...

Und ob er einmal nicht nach fünf Minuten Fachlektüre mit einem gebrummelten "Gute Nacht, Charlotte" einschlief?

Ja, ja, es gab ja immer wieder Anlässe zu neuen Hoffnungen und viele Möglichkeiten zur Auffrischung des Zusammenlebens.

Nach langer Zeit genoß Charlotte wieder prickelnde Vorfreude und sie umarmte in den vergangenen Tagen ihren Mann stürmisch, fast schon enthusiastisch, wenn er von einem langen Tag nach Hause kam.

"Ist ja gut, was ist denn los?" wehrte er leicht verlegen und überrascht ab.

Charlotte wertete es als Schüchternheit oder auch Überarbeitung. Dummerweise.

 

***

 

So - wenn er das nächste Mal mit diesem leicht übermütigen Glitzern in seinen blaugrauen Augen nach Hause kam, dann wollte sie ihm endlich beibringen, daß sie seit zwei Wochen ihre einstmals guten Sprachkenntnisse in englisch und italienisch in einer Fremdsprachenschule auffrischte. Sie mußte aus ihrem Alltagseinerlei heraus, und hatte sich etwas überlegt: Sie wollte bei Kurz & Kurz, in der Kanzlei, in der sie vor vielen Jahren gearbeitet hatte, wieder einen Job kriegen. Es mußte einfach etwas passieren ...

Hoffentlich würde Heribert nicht sagen: "Ach Kindchen, das hast du doch nicht nötig. Was sollen meine Kollegen denken, wenn du wieder arbeiten gehst? Nein, nein." Heribert bekam dann immer so einen gütigen, leicht väterlichen Gesichtsausdruck, welcher ihr zuwider war - "Versorge du schön unser Haus, das kannst du gut, mach dich hübsch, pfleg dich, lies ein gutes Buch, kauf dir ab und zu was Nettes!"

Charlotte erhoffte sich seit Tagen folgendes: Zum einen, daß ihr Mann weiterhin gutgelaunt nach Hause kam, zum anderen dringend, daß er sie spontan umarmte, herumwirbelte, an ihrem Ohr knabberte, ihr wieder zuflüsterte: "Mein Rehlein", wie er es vor Jahren so oft gesagt hatte. Und sie sich lachend balgten ...

Sie erinnerte sich, wie damals aus ihren albern glucksenden Tätscheleien handfeste Liebkosungen wurden ...

Wie konnte Charlotte auch nur ahnen, daß Heriberts angedeutete Übermutsanfälle auf Überlegungen basierten, wie er wohl mit schlanker, sportgestählter Figur auf Frau Bergstedt wirken würde.

Und in so vielen neu erwachten Wünschen versunken stand Charlotte an diesem schönen, leuchtenden Morgen vor dem großen Spiegel.

Die Sonne streichelte zärtlich den nackten Rücken. Wohliges Recken, Wärme auf der Haut - wie schön - ging es ihr wehmütig durch den Kopf.

Mit bloßen Füßen ging sie in ihre Poggenpohlgestylte Küche. Routiniert mixte sie sich einen erfrischenden Drink aus Martini, Gin, Zitrone, Orangensaft und viel Eis.

Er entspannte und beruhigte Charlotte schon so manches Mal, verschaffte Träume, wenn der Alltag an ihr rumzerrte.

Und dieser heitere Morgen im Mai 1996 stand mit verführerischem Zwinkern zu ihrer ganz persönlich freien Verfügung.

Gut gelaunt, vor sich hinträllernd, schlüpfte sie in ein langes, seitlich geschlitztes, Leinenkleid und in neue, dunkelbraune Sandaletten.

Spiegelprobe: Schick, einfach schick, Charlotte! Tasche unterm Arm, Sonnenbrille nicht vergessen. Ab ging es, in die Stadt.

 

In der Innenstadt Parkplätze zu finden, war ein Problem. Charlotte hatte Glück, heute fand sich auf Anhieb eine Lücke für ihren dunkelgrünen Stadtflitzer. Wie gut, daß der Parkplatz neben einer Grünanlage war. Hier wollte sie sich warm-, besser gesagt freilaufen.

Seit einiger Zeit bekam sie manches Mal merkwürdige Hemmungen, Engegefühle in Menschenmengen. Heute, heute aber fühlte Heriberts Frau sich so gut wie lange nicht. Lächelnd, fröhlich und beschwingt schlenderte sie durch vertraute Straßen, sah sich mit dem größten Vergnügen jede Auslage an. Eigentlich brauchte, benötigte sie nichts. Außer Streicheleinheiten - und die immer. Fast süchtig gierte sie danach. Heute aber, an diesem hellen Tag, machte es Spaß nur in der Sonne zu schlendern, zu schauen ... Aber, kam es ihr in den Sinn, vielleicht kaufst doch etwas, nur eine Kleinigkeit? Die Auslagen ringsherum lockten, boten sich dar.

Es war leider so, daß Charlotte, wenn sie vergebens auf liebevolle Gesten ihres Heriberts gewartet hatte, von unkontrollierter Kauflust überfallen wurde. Mit der Zeit hatte sich in einer 'geheimen' Ecke ihres Kleiderschrankes ein unsinniger, völlig überflüssiger Stapel schönster, ungetragener Kleider angehäuft.

Wenn sie die knisternden Tüten hastig ins Haus getragen und sie raffiniert versteckt hatte, wurden die so teuer erworbenen Streicheleinheiten von Charlotte vergessen. Aber für einige Momente, manchmal sogar für Stunden, hatte sie dadurch heftige, sinnlichste Glücksgefühle bekommen.

Und Heribert ließ ahnungslos, mit müder Gestik und manchmal unwirschen Worten abrupt die teuer erstandenen Hochgefühle eines Einkaufstages verpuffen.

Ja, Kleider anstelle von Zärtlichkeiten vergangener Tage ... Träume ...

 

Inzwischen stand Charlotte vor dem Fenster eines kleinen, feinen, sehr exklusiven Herrenausstatters. Die Schaufensterpuppen ohne Köpfe trugen ausgefallene Unterwäsche.

Ob sie hier wohl mal etwas ganz Verrücktes für ihren Mann kaufen sollte, ging es ihr durch den Kopf. Meine Güte, dies hier war nun wirklich mal etwas ganz, ganz anderes.

Der brave Heribert bestand all die Jahre, nach wie vor, auf praktischem, langweiligen Doppelripp. - Bah!

Hier, das sah doch gut aus. Schwarz, mit etwas Bein, viele kleine Knöpfe an der richtigen Stelle (Charlotte kicherte), oder die da, mit den aufmunternden frechen Streifen. Also, hinein in den Laden.

Schon stand sie im Geschäft mit den kühlen, schwarzweißen Fliesen. Fühlte sich unbehaglich, war ein klein wenig unsicher ...

Zögernd sah sie sich um und ehe der untersetzte Verkäufer auf sie zu sprintete, ging sie kerzengerade auf die Herrendessous zu - so, als wenn sie es täglich machte. Ha, wenn der Knabe wüßte ... Sie suchte sich anhand der kleinen, feinen Etiketten durch Größen und Preise. Abwägend hielt sie verschiedene Stücke der hübschen Kleinigkeiten in der Hand, drehte sie hin und her und versuchte angestrengt, sich ihren Heribert darin vorzustellen. Ach ja, gar nicht schlecht ...

Mit hocherhobenen Kopf und nervösen Schweißausbrüchen ging Charlotte zielsicher zum wartenden Verkäufer. Bat ihn, jedes der ausgewählten Stücke (es waren sechs) einzeln und sehr, sehr hübsch einzupacken. Die Betonung lag auf 'sehr hübsch'.

Der Verkäufer grinste (Untersteh dich, Heini, dachte sie) und überreichte ihr mit einer kleinen angedeuteten Verbeugung viele bunte Päckchen. Na, ob Heribert heute abend wohl staunen würde? - Er würde! Er müßte! Wo sie sich solche Mühe gab!

Charlotte war sich ihres Erfolges ziemlich sicher und verließ mit einem kaum zu unterdrückenden Kichern den feinen, kleinen Laden.

 

Inzwischen war es fast Mittagszeit. Am Ende der Einkaufsstraße hatte ein Café Tische und Stühle nach draußen gestellt. Bei dem Wetter war es gut besucht. Neben Kaffee trinkenden und Apfelstrudel essenden Gästen fand Charlotte einen schönen kleinen Ecktisch, ganz für sich allein. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf und hatte dadurch daß Gefühl einer gewissen Distanz zu den Leuten ringsum. Außerdem konnte sie so ungenierter beobachten.

Unternehmungslustig wippte sie mit ihren Füßen und ließ voll heiterem Wagemut ihre Oberschenkel aus dem Schlitz ihres Leinenkleides schauen. Mit der Hand griff sie sich verstohlen in die Haare - nun, sie schienen in Ordnung. Auffordernd schüttelte sie ihre Locken nach hinten, bestellte einen Campari-Soda, mit mehr Campari als Soda. Und mit Eis. Nicht so viel.

Meine Güte, was kamen hier doch für Leute vorbei. Also, wie manche aussahen, das durfte nicht wahr sein! Vor allen Dingen nahm sie kritisch die entgegenkommenden Frauen ins Visier. Bei einigen zeigte die leichte, sommerliche Kleidung sehr unliebsame Rundungen an den falschen Stellen, mancher Bauch wurde durch zu stramm hineingezogene, durchsichtige Viskoseblusen betont.

Bei diesen Betrachtungen sah Charlotte fast automatisch an sich herunter. Ich sehe ja wohl nicht wie die da aus? Sie beobachtete eine Frau mittleren Alters mit Dauerwelle und fülliger Figur, welche sich nach einem passenden Platz umsah. Charlotte zog unwillkürlich ihren Bauch ein.

Die Sonne wärmte, glitzerte verführerisch, weckte Tagträume. In diese zutiefst versunken, schlürfte sie genußvoll ihren Campari.

Was war das denn? Sie stutzte, blinzelte in die Sonne. Da kam ja Heribert, wie schön ... aber zusammen mit Frau Bergstedt. Er schien intensiv auf sie einzureden. Ihr Heribert wirkte sehr fröhlich, er schien gute Laune zu haben.

Einen Arm hatte er um Frau Bergstedts Schulter gelegt und zeigte ihr die Auslage eines Geschäftes. Sie schlenderten näher, Richtung Café.

Charlotte stand auf, winkte heftig, rief: "Uhuuu, Heribert!" Die Leute sahen sich um, der Gerufene guckte irritiert hin und her, bis er endlich seine Frau, die noch immer wild gestikulierte, entdeckte.

Heribert stieß seine Begleiterin an, zeigte zu der winkenden Frau - er schien Frau Bergstedt etwas zu sagen - und beide kamen mit forschem "Hallo" auf Charlotte zu.

"Na, was machst du denn hier", so der O-Ton Heriberts, "ja, ja, soviel Zeit müßte man mal haben!"

"Wirklich, Frau Kalkstein, Sie haben es gut, so genüßlich in der Sonne sitzen ... " Damit nahm Frau Bergstedt, schick und selbstbewußt, neben Charlotte Platz.

"Was trinken wir denn da? Einen Campari am hellen Mittag?" Scherzhaft drohte Heribert mit dem Finger. Der Gute wirkte erhitzt, sah fragend zu Frau Bergstedt. "Möchten Sie etwas trinken?"

"Ja, bitte - schnell einen Cappuccino, unsere Mittagspause ist gleich um. Und um 14.00 Uhr kommt doch der Müller mit den neuen Verträgen. Wir haben wirklich nicht allzuviel Zeit, Herr Kalkstein."

Während sie auf den Cappuccino für Frau Bergstedt warteten, fragte diese, sich Heriberts Frau zuwendend: "Sie sind nicht berufstätig?" und zog dabei ihre linke Augenbraue fragend hoch.

Du kannst mich mal, dachte Charlotte erbost. Blöde Tussi. "Nein, augenblicklich fühle ich mich sehr wohl ohne Job. Aber in Kürze werde ich wieder, Halbtags, bei meiner alten Firma, arbeiten!"

Heribert sah erstaunt auf. "Aber, aber Schatzi, was höre ich denn da! Hast du mal wieder eine deiner sporadischen Anwandlungen - da solltest du erst einmal dein Allgemeinwissen aufpolieren. Auch dein ehemaliger Chef wird inzwischen sein Büro mit PC ausgestattet haben, auch, wenn er sonst recht konservativ ist. Und du, du weißt ja noch nicht mal, wie ein Computer aussieht!" Er wandte sich Frau Bergstedt zu. "Die Hausfrauen heute vergessen zu schnell, wie fix man aus einem Aufgabenbereich raus ist." Er schüttelte nachsichtig, etwas überheblich den Kopf und lächelte seine Frau an: "Da denkt meine hübsche Charlotte, sie könnte mir nichts dir nichts in den harten Alltag springen. Überleg doch mal, was heute alles gefordert wird, was sich alles verändert hat! Und dann, Frauen in deinem Alter, welche bekommt denn nach so einer langen Pause einen Job? Das Ganze ist doch wohl total unüberlegt! Sei nicht böse, Charlotte, es ist nun mal so!"

Ja klasse, dachte sie, unterdrückte den Impuls, heftig aufzuspringen und zu gehen. Das ist mal eine Superunterstützung! Wenn du wüßtest, mein lieber Mann, wo ich so manchen Nachmittag bin. Meinst du eigentlich, ich wäre blöd? Mußt wohl hier vor der schicken Kollegin den überlegenen Macker machen!

Ein unbehagliches Schweigen trat ein. Frau Bergstedt sah irritiert von einem zum anderen - enthielt sich klugerweise jeden Kommentars. Statt dessen stand sie auf, zupfte den engen Rock zurecht. Charlotte und Heribert starrten beide fasziniert auf die gut geformten langen Beine, und jeder der beiden dachte an etwas anderes ...

Frau Bergstedt sagte mit verbindlichem Lächeln zu Charlotte "Nett, das wir uns mal wieder getroffen haben. Aber Ihr Mann und ich müssen los, ein Termin ... "

"Ja, die Zeit ist knapp." Hastig stand auch der Anwalt auf. "Wir müssen. Mach dir noch einen schönen Tag, Schätzchen, bis heute abend, tschüüs!"

Er faßte Frau Bergstedt leicht an die Schulter, rückte die Stühle zurecht (ach, das machte er doch sonst nicht) und ging mit ihr die Obernstraße runter, Richtung Kanzlei.

Leicht benommen starrte Charlotte den beiden hinterher. Ihr gutgelauntes Gesicht sackte zusammen. Der schöne Mund zog in enttäuschtem Bogen nach unten, und die heitere Ferienstimmung dieses Morgens war hin. Gründlich, das hatte Heribert geschafft. Mit Tränen in den Augen starrte sie auf ihre bunten Päckchen. Mein Gott, wann war Heribert mal so locker mit ihr, wann schlenderte er umschlungen mit ihr durch die Stadt ... Selbstmitleid, Zorn stiegen gallenbitter in ihr hoch. In einem böse aufwallenden Impuls stopfte sie die vielen bunten Heribert-Päckchen in den nächsten Papierkorb, sah hinein, lachte hart auf und goß den Rest ihres Camparis darüber. Und die Sonne strahlte weiter ...

 

Als Charlotte das Café verließ, spiegelte sie sich in einer Schaufensterscheibe. Zu klein, zu dick, zu berufslos, zu was weiß ich nicht, so sah sie sich jetzt. Der morgendlich beschwingte Gang wurde hölzern. Mit eckigen Bewegungen rempelte sie vorbeigehende Leute an, murmelte verlegene Entschuldigungen, zupfte mit nervösen Fingern an sich herum.

Jetzt aber, jetzt brauchte sie schnell, ganz schnell Trost.

Vor Karstadt ließ sie sich von nachdrängenden kauflustigen Menschen durch die breite Glastür drängen.

 

In der großen Kosmetikabteilung des Kaufhauses hielt sie sich lange auf, drehte versonnen schöne Tiegel mit wunderbar wirkenden Cremes und Lotionen hin und her, las die überschwenglichen Versprechungen der Hersteller - alles glänzte, schönte, glättete, straffte. Mit nur einem Töpfchen Creme kam strahlende Jugend zurück.

"Kann ich Ihnen behilflich sein?" zwitscherte ein zartes, graziles Geschöpf mit kunstvoll schwarz umrandeten Augen neben ihr. "Darf ich Sie zu unserer Sondervorführung einladen? Die Firma Lancaster läßt heute kostenlos schminken und macht auch eine Typberatung!"

Charlotte sah das junge Mädchen fragend an.

"Es ist wirklich unverbindlich, meine Dame, wenn Sie nur etwas Zeit haben ... "

Und Charlotte hatte viel, sehr viel Zeit.

 

Nach einer Weile kam Charlotte aus der Kabine. War das wirklich, wahrhaftig dieselbe Frau von vorhin?

Gezupft, bemalt, gepudert, mit raffinierten Farbstrichen, ein neuer, sehr konturenreich geschminkter Mund ... er wirkte sehr voll, sinnlich, zu Küssen auffordernd. Auch die Haare waren gekonnt zurechtgewuselt, gegeelt. Mit einer großen Tüte, gefüllt mit diversen Versprechen, duftend nach Illusionen, stand eine andere, äußerlich neue Charlotte an der Kasse und bezahlte Lotion um Lotion.

Fremd sah sie aus. Gut sah sie aus. Ganz anders. Ausgiebig und neugierig betrachtete sie sich im glänzenden Kaufhausspiegel.

Die heutige Enttäuschung versteckte sich geschickt hinter ihrem Make-up. Sie schlenderte von Stand zu Stand, fühlte sich neu, aufregend.

Bei den Dessous blieb sie stehen. Sie mußte lächeln. Irgendwie habe ich es heute aber damit ...

Es machte Spaß, vorsichtig mit den Händen über die weichen, glänzenden, fließenden Teile zu streichen. Sie freute sich an der kühlen Seide, an schimmerndem Satin. In Charlottes Schrank wartete zwar schöne, aber mehr praktische und vernünftige Wäsche. Was Gutes und Beständiges.

Unangemeldet kam ein total irrsinniger Gedanke in ihr hoch. Das gibt's doch wohl nicht - entsetzt schob sie die Idee beiseite. Zu dem einen Gedanken gesellten sich mehrere, ließen sich nicht verdrängen, kamen unaufgefordert frech und äußerst vorwitzig wieder. Trotz ihrer Empörung über diese Gedanken - kleine Teufelchen waren das wohl - überflutete sie ein sinnliches, äußerst sinnliches, Wohlbehagen.

Charlottes Körper fing an, sich ganz leicht hin und her zu wiegen. Ihr Atem ging schneller, heftiger ... ihre Haut kribbelte, alle Härchen standen Kopf. Eine Erregung, als wenn sie sich mit einem Anderen treffen würde, vielleicht auch mit Heribert, egal, einer, der sie hier, vor aller Augen, in seidigsten Dessous liebte ...

Charlotte dachte nicht daran, wo sie war, wer sie war ... Soll ich? Wirklich - ach, ich tue es ... Ist doch egal!

Wie der weiße Satin schimmerte, lockte und verführte ... Mit einer plötzlichen, ruckartigen Bewegung riß Charlotte glänzende Wäschestücke von den Bügeln und stopfte diese mit zitternden Händen in ihre große, glänzende Kosmetiktüte. Fleckige Röte zog über ihren Hals, hoch ins Gesicht. Nervös sah sie zur Seite. Bloß schnell weg von hier, daß keiner was merkt! Aber nicht zu schnell, nicht auffällig! Charlotte, gaanz langsam, befahl sie sich mit großer Willensanstrengung.

Die Abteilung war voller Menschen und jeder war mit sich beschäftigt. Daß Charlotte intensiv schwitzte, nein, sie spürte es nicht. Sie nahm auch ihren merkwürdigen, fast roboterhaften Gang Richtung Rolltreppe nicht wahr. - Runter und verschwinden! Nicht umsehen. Wer sich umsieht oder lacht ... Ein paar Meter noch - und sie war in Sicherheit.

Die breiige Stimme eines Schlagersängers hüllte sie mit seinen sentimentalen Liedern ein. Die Menschen hasteten hin und her. Keiner achtete auf die Frau an der Rolltreppe.

Keiner?

Doch, einer!

Abgepaßt, ganz, ganz genau in diesem Moment legte sich eine Hand, mißverständlich, aber unmißverständlich gemeint, fest, unnachgiebig auf Charlottes Schulter.

"Kommen Sie unauffällig mit ins Büro!" forderte die nicht unangenehme Stimme des Kaufhausdetektives.

Aufgestaute Erregung, kaum auszuhaltende Spannung, alle solange unterdrückten Enttäuschungen, Wünsche gipfelten furios in der wie zu Stein erstarrten Frau.

Mit fassungslosem Gesichtsausdruck stand Charlotte in der unruhigen Menge der hin- und herschlendernden Leute. Sie bemerkte nicht die Tränen, die ihr über die Wangen rannen ...

Der Druck der Hand auf ihrer Schulter war unnachgiebig.

Da sahen die Leute der Frau ins fleckige, verschmierte Gesicht. 'Ah, so eine ist das!' Dreist, erstaunt und froh waren sie, etwas an ihrem Einkaufstag geboten zu bekommen. Umsonst.

"Kommen Sie!" Der Detektiv wurde bestimmter, seine Stimme härter. Aber sie rührte sich nicht und schien für alle Zeit der Welt an der Rolltreppe im Kaufhaus festgewachsen zu sein.

Mit ein wenig Erbarmen legte der Mann seinen Arm um die zitternde, bebende Schulter, nahm ihr fast behutsam die Tüte mit den Träumen aus der Hand, und schob sie sanft in die Richtung seines Büros.

Die weinende Charlotte wachte aus ihrer Erstarrung auf, sah diesen fremden Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, hörte seine Stimme, die ihr bis zu diesem Augenblick unbekannt war. Und sie fühlte seine feste Hand, seinen Arm um ihre Schulter, bemerkte den Männerkörper dicht neben sich, spürte die Wärme, die von ihm ausging.

 

Da stieg inmitten ihrer Trostlosigkeit, in ihren verlorenen Illusionen doch ein fast glückliches Schluchzen hervor: Endlich - endlich - wieder eine Berührung!

EXCERPT: aus der Mitte:

 

[...]

Derweil unternahm Heribert nach einigen zaghaften Versuchen einen neuerlichen Vorstoß bei Carla Bergstedt. Er hatte sich geschworen, daß dies der letzte sein sollte.

"Carla, haben Sie Zeit und Lust mit mir essen zu gehen? Als Strohwitwer fällt mir zu Hause momentan die Decke auf den Kopf." Viel Hoffnung hatte er nicht.

Er war äußerst verblüfft, als sie sagte: "In Ordnung, mir paßt es heute gut. Ich wollte sowieso was mit Ihnen besprechen!"

Heriberts Kopf kreiste. Besprechen, was wohl, was Persönliches, zwischen ihr und ihm? Ach, es wäre nicht auszudenken, wenn seine Bemühungen endlich, endlich belohnt würden.

Beflügelt machte er in der Kanzlei etwas eher Schluß, fuhr nach Hause, eilte, seligen Singsang trällernd, unter die Dusche, durchsuchte seine neuen Klamotten nach einem passenden Outfit. Er konnte beruhigt sein, Charlotte hatte ihn dabei wirklich gut beraten.

Schwarze, dicke Gewitterwolken zogen auf. Den ganzen Tag über war es drückend, schwül gewesen. Die Luft stand, hing schwer in den Räumen, man schwitzte, fühlte sich bleischwer ... Jetzt ein Gewitter, Gott sei Dank ... Die Bäume bogen sich schon unter ankommendem Sturm, Unrat flog durch die Luft, es wurde noch drückender.

Als Heribert mit seinem wunderschönen grauen Mercedes (er fand ihn jedenfalls wunderschön) vor dem 'Pirondella' ankam, fielen erste, dicke Regentropfen, verwandelten sich in Hagelkörner, die mit geballter Kraft und Energie auf sein Autodach trommelten. Innerhalb von Sekunden schoß das Wasser wie aus Eimern vom Himmel herab, bildete um ihn herum eine regelrechte Wand. Ein paar Leute schafften noch den Weg ins Lokal, waren aber selbst bei den wenigen Schritten, die sie zurücklegen mußten, völlig durchnäßt.

Heribert starrte durch die Windschutzscheibe. Ob Carla da draußen noch in ihrem Wagen saß und genauso wenig wie er hinauskonnte - oder war sie schon im 'Pirondella' und wartete ungeduldig auf ihn ...

Er hätte in diesem Moment noch nicht einmal die Wagentür aufbekommen, so heftig drückte der aufgekommene Sturm dagegen. Die Blitze kamen von allen Seiten, erhellten weithin die Stadt, zuckten kurz auf oder teilten langgezogene Wolken mit ungezähmter Wut. Donnerschläge zerrissen fast zeitgleich die Luft. Heribert fühlte sich wie im Auge eines Taifuns. Bei jedem Krachen zuckte er zusammen, bemühte sich durch die Windschutzscheibe zu spähen, aber er sah nichts. Die Hagelkörner wurden schwerer, knallten mit noch größerer Wucht aufs Autodach. Hoffentlich gibt das keine Beulen, dachte er verbittert.

Beim nächsten gewaltigen Blitz, welcher den Parkplatz bis in die letzten Winkel erleuchtete, sah er, wie ein Auto auf ihn zufuhr, ihn anblinkte, genau vor ihm hielt. Hey, was soll denn das, hier war doch genug Platz. Die Scheinwerfer blinkten weiter auf.

Neben ihm schweres Krachen. Der dicke, schon immer etwas morsche Zweig der Buche dort drüben war abgebrochen, flog gegen einen Zaun. Eine Mülltonne verlor das Gleichgewicht, entlud ihren Inhalt, der Sturm zerrte ungeduldig daran, ein neues Spiel den Müll zu verteilen, die Tonne zu rollen. - Oh je, die rollte ja genau auf ihn, auf seinen Wagen zu! Ehe Heribert zu Ende gedacht hatte, knallte und schepperte es. Die Tonne rollte wieder zurück, um in anderer Richtung einen Hang runterzurasen, hinein in ein entgegenkommendes Auto. Beim nächsten Donnerknall wurde seine Beifahrertür aufgerissen, ein Regenschwall fegte ihm durchs erstaunte Gesicht, eine durch Wind und Nässe zerzauste Person schmiß sich auf den Beifahrersitz und versuchte, mit aller Kraft, die Tür wieder zuzubekommen. Im Reflex beugte Heribert sich vor, packte an der Person neben sich vorbei und hielt mit beiden Händen die Türe, bekam sie nach sekundenlanger Mühe ins Schloß. Die Ärmel seiner schönen cognacfarbenen Lederjacke waren dunkel, durchnäßt.

Er strich sich Wassertropfen von den Augen, um zu sehen, wer da auf einmal unter Blitz und Donner ins Auto gesprungen war. Mit Mühe erkannte er zu seinem unmäßigem Erstaunen Carla, durch und durch naß. Ihre blonden Haare hingen in tropfenden Strähnen, das kurze, schwarze Strickkleid klebte feucht an ihrem Körper, sie rang nach Luft.

"Meine Güte, war das ein Akt. Ich wollte doch nun nicht stundenlang allein im Auto sitzenbleiben, deshalb hatte ich Sie ja angeblinkt, aber daß man so naß werden kann, meine Güte ... jetzt tropfe ich Ihnen den ganzen Sitz voll, ach, tut mir das leid!"

"Warum sind Sie nicht im Wagen geblieben, es ist doch sicher gleich vorbei, meine Güte ... "

Erneutes Blitzen, Donnerschläge. Der Hagel war in Regen übergegangen und prasselte unentwegt aufs Autodach.

Mit schweißtreibenden und zeitraubenden Bewegungen versuchte Heribert aus seiner Jacke zu kommen. Wenn er doch bloß ein Handtuch gehabt hätte, damit Carla, die schöne Carla, sich etwas abtrocknen konnte ...

"Heribert, seien Sie doch nicht so zimperlich, ziehen Sie mal ihr Hemd aus, damit ich was zum Abtrocknen habe!"

Verdattert sah er sie an. "Sie, Sie meinen ...?"

"Ja klar", erwiderte sie fröhlich, "soll ich hier naß wie eine Katze sitzen bleiben und mir vielleicht noch den Tod holen? Los Heribert, raus aus den Klamotten!"

"Ach, du liebe Zeit." Er hatte Hemmungen. Zögernd öffnete er, pedantisch langsam, Knopf für Knopf.

"Dauert das immer so lange, bis Sie Ihr Hemd aushaben? Lassen Sie mich mal ... " Und flugs waren Carlas schlanke Finger an seinen Knöpfen und bekamen sie in Windeseile auf.

Heiße Wellen durchfluteten Heribert. Er war wie gelähmt.

"Los, und nun die Arme nach hinten, ach, stellen Sie Ihren Sitz mal weiter zurück, so, ich helfe Ihnen, ja sehen Sie, so kriegen wir es aus!" Sie zog am Hemd, hatte es endlich, knüllte es und trocknete sich aufatmend daran ab, rubbelte ihr Haar.

Heribert saß in seinem gerippten weißen Unterhemd da und fühlte sich absolut kläglich. Sein lange gehegter Wunsch neben ihm und er - halbnackt auf dem Parkplatz im Gewitter. Nein, das gab's überhaupt nicht, konnte man sowieso keinem erzählen.

Voller Entsetzen nahm er aus den Augenwinkeln wahr, wie Carla sich auf ihrem Sitz unruhig bewegte, an ihrem Kleid zerrte - sie würde doch wohl nicht - und dieses auszog.

"Puh, das wäre geschafft. Eklig, so ein nasses Strickkleid, also, das ist wirklich ein ganz unangenehmes Gefühl. Hoffentlich trocknet das schnell!" Carla saß unbefangen und vergnügt in dunkelblauen BH und Höschen neben ihm, lachte ihm übermütig zu: "Wenn das jetzt unsere Büromannschaft sehen würde, die kriegten sich nicht wieder ein ... Tja, Heribert, das wird noch eine Weile dauern, wenn man so nach draußen guckt ... "

Die Regenwand war weiterhin undurchdringlich.

Mit Mühe fand Heribert seine Sprache wieder, mit so viel Mühe, daß seine Worte merkwürdig gepreßt klangen. "Ja, und was machen wir jetzt, Sie können doch nicht so nackt hier sitzenbleiben, und überhaupt ... "

"Ach, ich bitte Sie, erst einmal sieht uns hier kein Mensch, außerdem ist mein Kleid gleich wieder trocken, wenn ich es schön glatt auf die Rückbank lege und Sie die Heizung anmachen, vielleicht noch das Gebläse ... Außerdem können wir uns doch unterhalten - im Lokal würden wir das doch auch - oder?" Sie sah unbefangen zu ihm rüber.

Erschöpft schloß Heribert die Augen. Die aufgeladene Luft, das unentwegte Toben der Elemente machten ihn aggressiv; das Wissen um die Erfüllung seiner heimlichsten Wünsche ließ ihn heftiger atmen, denn die halbnackte Carla neben ihm verwirrte ihn aufs äußerste. Schwer legte er seine Hand auf ihre Schulter, murmelte dabei in ihre Richtung: "Das halte ich nicht aus!"

"Heribert, Heribert, immer noch so verrückt ... Ich weiß, daß Sie scharf auf mich sind, aber Sie sind überhaupt nicht mein Typ! Hier, wenn ich das schon sehe, dieser Bauch, und hier ... "

"So kannst du nicht mit mir umgehen, ich bin nicht dein Hampelmann", stöhnte er auf und versuchte, Carla zu sich herüberzuziehen. "Bitte, komm, nur ein einziges Mal ... " Mit dem linken Arm umfaßte er fest ihre Schulter, zog sie zu sich herüber, suchte mit den Lippen ihren Mund ... Carla drehte sich so gut es eben ging weg.

"Los, küß mich!" murmelte er rauh. "Du verarscht mich nicht mehr!" Seine rechte Hand versuchte den BH-Träger abzustreifen, streichelte ihren Busen. Carla wand sich und fing plötzlich an zu kichern.

"Also, das ist eine Situation ... Kommen Sie, Heribert, nun mal ganz, ganz langsam ... " (Wieso siezte sie ihn immer noch?) Sie schüttelte ungeduldig seine Hände von ihrem Körper, streifte selbst mit lässiger Gebärde ihren BH ab, zog mit einem Ruck ihr Höschen aus. "So, nun endlich zufrieden?"

Durch ihr Vorgehen war er völlig überrumpelt, starrte gierig auf die kecke, nackte Person neben sich. Seine erstaunten Augen bekamen einen gierigen Glanz. Erfreut, seiner Sinne kaum noch mächtig, streichelte er vorsichtig über ihren Körper. Mit einer Hand versuchte er hastig, den Gürtel seiner Hose zu öffnen. Endlich, endlich ... Heriberts Herz schlug in hartem, schnellem Rhythmus. Ganz genau in diesem Moment - den Augenblick vergaß er nie - ließ ein ohrenbetäubender und unheimlicher Lärm die beiden heftig zusammenfahren, so daß sie sich nur erschrocken an den Händen halten konnten. Explosionsartig fuhr der Blitz in die Buche, deren Ast zu Beginn des Unwetters abgebrochen war. Der Buchenstamm begann sich wie in Zeitlupe zu drehen, um dann mit einem entsetzlichen Knirschen und Krachen auf dem Parkplatz aufzuschlagen, wo er zerbarst. Einer der Äste streifte den mausgrauen Mercedes, schlug dann aber auf das Dach des davorstehenden leuchtendroten Wagens.

Mit weit aufgerissenen Augen starrten, sich weiterhin fest an den Händen haltend, Carla und Heribert in das tobende Gewitter.

"Mein Auto, oh nein ... ", schrie Carla.

"Mein Auto, natürlich!" stellte Heribert resigniert fest.

Im Eingang des gegenüberliegenden Lokals standen Leute, zeigten mit ihren Fingern auf den am Boden liegenden Baum, zeigten auf die beiden Autos.

Zwei mutige Männer lösten sich drüben vom Eingang, kamen mit flatternden, sich biegenden Regenschirmen auf Carla und Heribert zu.

"Auch das noch", stöhnte Heribert. Carla hatte sich schon wieder ein wenig in der Gewalt.

"Heribert, was soll's. Meinen Sie, die hätten noch keine nackten Leute gesehen?"

An Heriberts Wagen wurde geklopft, man konnte durch die von innen beschlagene Scheibe nicht hineinschauen. Das war auch gut so.

Heribert kurbelte seine Scheibe ein wenig herunter: "Wie nett, daß Sie kommen, aber uns ist nichts passiert ... "

"Wir brauchen zwei Bademäntel ... ", rief Carla dazwischen.

Die Männer spähten ins Wageninnere. "Kriegen Sie die Türe nicht auf? Warten Sie!" In nachbarschaftlicher Geste riß der hilfsbereite Mann Heriberts Tür mit einem kräftigen Ruck auf. Und wieder einmal peitschte Regen hinein ...

[...] 

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