'Vorwort'

Mit einem beißenden Gefühl im Leib setze auch ich ein 'Vorwort' an den Anfang dieses Buches. Meine innere Abneigung gegen solche Einleitungen rührt schon alleine daher, weil dem Vorwort stets die unverdiente Ehre verliehen wird, an den Beginn eines Buches gesetzt zu werden. Oft genug hat es eben genau dieses nicht verdient. Wenn es nämlich den Zweck haben sollte, beim Leser Interesse zu wecken, ist es weniger ein Vorwort als ein Eingeständnis des Verfassers, wenig Vertrauen in seine Arbeit zu haben. Das gleiche gilt, wenn Erklärungen zum Inhalt abgegeben werden. Aber heutzutage muß wohl jedes Buch - selbst vor denen Goethes wird in dieser Beziehung nicht Halt gemacht - durch die Finger derjenigen gleiten, die glauben, bei allen Büchern ein gemeinsames Ziel entdeckt zu haben: den Verkauf und die Vermarktung.

 

Das Ziel dieses Buches ist nicht definierbar. Das ist gut so, weil es ansonsten ein Ziel wäre, das zu erreichen nicht lohnen würde. Das Ziel dieses Buches ist nicht einmal, veröffentlicht zu werden. Durch eine Nichtveröffentlichung wird es keinen Deut besser oder schlechter. Kurz: dieses Buch hat kein Ziel. Trotzdem wurde es nicht ohne Grund geschrieben. So bin ich mir zum Beispiel sicher, daß es von meinen Freunden gelesen wird. Gleichzeitig ist das Schreiben für mich eine, vielleicht sogar die Möglichkeit, Gedanken, die Seele, das Sein zu erahnen. Alleine diese Gründe reichen aus, um ein Buch zu schreiben. Es sind Gründe, aber keine Ziele.

Mir geht es also besser als den Schülern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt einen mindestens drei, höchstens aber fünf Seiten langen Aufsatz über ein ihnen vorgegebenes Thema abliefern müssen. Für die Schüler gibt es ergo weniger Gründe, dafür aber mehr Ziele. Wenn wahrhaftig große Autoren zu ihren Schulzeiten gute oder geniale Kostproben ihres schriftstellerischen Könnens abgeliefert haben, werden sicher die persönlichen Gründe und nicht ihre Ziele dazu geführt haben.

 

Zurück zum Vorwort: dieses 'Vorwort' ist also gar kein echtes Vorwort, da es sich auch problemlos an einer anderen Stelle des Buches wiederfinden könnte. So wie dieses 'Vorwort' kein Vorwort ist, ergeben die Seiten dieses Buches keinen Roman, keine Biographie, keine Ansammlung von Kurzgeschichten, oder Gedanken, keinen Gedichtband, kein Werk.

Ich möchte, ganz einfach, nur ein paar Worte aufschreiben. Möge sich der Leser bei der Lektüre dieser Seiten gelegentlich daran erinnern, welchen Titel ich diesem Buch gab.

Der Verfasser

 

Liebeskummer

Du fällst, so tief wie das Meer,

Irgendwo schwimmst Du noch, weißt nicht wohin.

Die Leere in Dir ist nur noch leer,

Verzweifelt schnappst Du nach Luft und Sinn.

 

Du suchst nach dem Sinn für's Leiden,

Die Schmerzen sitzen tief, zerstechen dich.

Die Kalten wirst Du jetzt beneiden,

Säßest gern' an ihrem Tisch.

 

Doch Du bleibst allein', ganz allein' mit Dir,

Suchst nach Halt, alles bricht entzwei,

Zu gerne wärst Du jetzt ein Tier.

Glaubst alles zu sein, nur nicht frei.

 

Du fragst dich, was Du eigentlich tust,

Dabei denkst Du nur an Schmerz und Leid.

Alles was Du willst und suchst,

Verliert sich in der toten Zeit.

 

Die Sinne sind eng, kommst nicht von der Stelle,

Denkst nur noch an das böse 'Jetzt und Hier';

Suchst drin des Schmerzes erste Quelle,

Und darfst erkennen: da war kein Tier!

 

Da war ein Mensch, den du liebst,

Das sind Gefühle und keine Triebe.

Auch wenn du ihn nie mehr wiedersiehst,

Denk dran: es ist kein Leid, sondern Liebe.

 

 

 

Gedanken einer Einkaufsschlange

 

I.

Es war am frühen Freitagabend, und wie an fast jedem Wochenende hatte Lossiv Gorki seine lästige Pflicht das Nötigste einzukaufen, vor sich hergeschoben, so, als hätte er bis zuletzt auf ein Wunder gehofft und darauf gewartet, daß die paar Sachen vom Himmel herunter in seine Wohnung fallen würden.

Wie an jedem Wochenende hatte Gorkis Frau einen Einkaufszettel zusammengestellt. Sie tat es, weil ihr nicht nur die fehlende Lust, sondern auch die Vergeßlichkeit ihres Mannes beim Einkaufen hinreichend bekannt war. Sie hätte es ihm zuliebe gerne selbst erledigt, aber ihre Arbeitszeiten ließen dies nicht zu.

Nun, das Einkaufen war für Gorki keineswegs ein Alptraum, er mochte es nur nicht, so, wie andere Leute das Autowaschen nicht mögen. Hätte man ihn gefragt, was für ihn beim Einkaufen so störend sei, hätte er geantwortet, daß er sich in der künstlichen Atmosphäre der Sonderangebote und Durchsagen nicht wohl fühlen könnte. Ihm waren die zahllosen Frauen zuwider, die die simple Angelegenheit des Einkaufens in ein perverses Muster unzähliger Dialoge untergehen ließen. Ebenso die Leute, die ihre Einkaufswagen gegenseitig genauestens begutachteten - heimlich, versteht sich - um zu erfahren, daß Herr X wohl eine neue Freundin haben mußte, weil er nicht den Lieblingssekt seiner bisherigen im Wagen hat. Kurzum, das Einkaufen war für Gorki eine typische Art der Beschäftigung, der man nur deshalb nachgeht, weil es sich nicht vermeiden läßt, und so machte sich Gorki - es war ja Freitagabend, kurz vor Ladenschluß - auf den Weg in den Einkaufsladen. Es war ein kleiner Laden, kein Supermarkt, aber auch kein 'Tante-Emma-Laden'. Es herrschte reger Betrieb, vielleicht ein wenig mehr, als an üblichen Tagen.

Gorki war froh, daß er sich nicht an der Käsetheke anstellen mußte, weil doch gerade dort manchmal die unmöglichsten Kunden den ganzen Betrieb aufhielten. Schnell, zielstrebig, fast schon hektisch legte Gorki die eingekauften Sachen in seinen Wagen. Nudeln, Reis, frischen Salat, Sahne, Senf, Toilettenpapier und etwas Süßes hatte seine Frau aufgeschrieben.

Etwas Süßes, dachte er; ihm war diese Angabe zu ungenau und doch legte er zwei Tafeln Schokolade in den Wagen. Ein wenig stolz darauf, keinen Meter im Laden zweimal begangen zu haben - seine Art einzukaufen war also nicht nur schnell und zielstrebig, sondern auch organisiert - begab er sich an die Kasse. Es gab nur die eine und mit ein wenig Entsetzen stellte er fest, daß doch einiges los war, na ja, im Verhältnis zu anderen Tagen. Dafür hatte er doch nicht so organisiert eingekauft, um jetzt in der Schlange anzustehen. Er verglich sich mit einem Auto in der Rush-hour, das einfach nicht schneller an sein Ziel kam, als alle anderen auch.

Nun gut, was sein muß, muß sein und so stellte er sich - wie es sich gehört - hinten an. Mit ihm standen exakt sieben Personen vor der Kasse, sieben Lossiv Gorkis.

 

II.

Da stand er nun, schaute ungeduldig auf die Uhr - obgleich er genügend Zeit hatte - und hätte am liebsten mit sich selbst gesprochen.

»Ihr Leute vor mir, sicherlich habt ihr hier im Laden nur herumge-trödelt, durch einen dummen Zufall steht ihr nun vor mir und nehmt mir die Zeit, die ich noch zu schätzen weiß. Eigentlich macht es keinen Sinn, daß ihr vor mir an der Reihe seid, wer weiß, vielleicht würdet ihr mir gar Vortritt lassen, wenn ihr wüßtet, wie sinnvoll und zeitsparend ich eingekauft habe. Aber nein, natürlich macht ihr euch darüber keine Gedanken, laßt euch nur von den Sonderangeboten in Augenhöhe blenden; was verlange ich von euch? Gedanken, die über 'Darf es etwas mehr sein?' und '1,99 DM für den Dreierpack' hinausgehen? Wißt ihr eigentlich, welch' unverschämtes Glück ihr habt? Im Ostblock sind die Schlangen kilometerlang, und nicht alle bekommen das, wofür sie anstehen und stundenlang warten. Und ihr? Ihr dreht euch um, viel-leicht ist der Nachbar ja doch zugegen, vielleicht ist ja ein Plausch über das gestrige Fernsehprogramm drin. Ihr tut mir leid und ein bißchen hasse ich euch, weil ich eure Schlange nicht sprengen kann, sie selbst verlängern muß, um an mein Ziel zu kommen. Ziel! Lächerlich! Einige von euch werden sogar glücklich sein in der Schlange. Ja, einkaufen und in der Schlange stehen; das könnt ihr, dabei könnt selbst ihr nichts falsch machen. Das traut ihr euch noch zu. Wahrscheinlich habt ihr auch noch etwas vergessen, obgleich ihr sicherlich mehr eingekauft habt, als ihr euch vorgenommen habt. Ihr laßt euch zu den Spielbällen der kleinsten und erbärmlichsten Verkaufsstrategie machen und wehrt euch nicht dagegen, ach ihr merkt es nicht einmal. Gleich werdet ihr überrascht sein, wie teuer doch alles ist, um genau das gleiche morgen wieder einzukaufen. Ich will nichts mit euch zu tun haben, nicht in eure leeren Augen schauen müssen. Ihr fühlt euch wohl hier und wißt nicht warum. Schaut euch heute abend wieder die Werbung an, damit ihr wißt, was ihr morgen kaufen und machen sollt. Ich will mit euch nichts zu tun haben, hoffentlich bin ich bald draußen.«

Inzwischen hatte der erste der Schlange bezahlt, ein anderer Kunde schloß sich ihr hinten an, so daß wieder sieben Personen vor der Kasse standen. Lossiv Gorki an vorletzter Stelle, vor ihm fünf, hinter ihm ein Gorki.

 

III.

In Gedanken begrüßte Gorki seinen Hintermann, dessen Atem unruhig war, wahrscheinlich deshalb, weil er kurz zuvor zwei Kisten Bier in seinen Wagen gestellt hatte.

[...]

  

Nachwort?

Glaube und Entscheidung

Nun haltet Ihr es also in Euren Händen. Ein Buch, ein langer Brief, einerlei.

Schon zu Beginn meiner Schulzeit hatte ich das Gefühl, daß die Zeit kommen würde, in der ich schreiben will oder muß. In Afrika - des nachts in einem überfüllten Bus, umringt von schlafenden Menschen - habe ich den Beschluß gefaßt, in den letzten acht Monaten habe ich dieses Buch dann tatsächlich geschrieben.

Und gerade im letzten dieser acht Monate habe ich gemerkt, welch eine Hilfe Ihr mir gewesen seid. Im geistigen, zum Schluß aber auch im praktischen Sinne.

Ich habe es nicht für Euch geschrieben und doch bin ich glücklich darüber, daß ich es Euch schenken möchte. Alle habt Ihr mir auf eine unterschiedliche Weise geholfen, teilweise in der Vergangenheit, und jede Hilfe war so persönlich, daß sie gar nicht von einem anderen hätte stammen können.

Ich möchte nicht auf die einzelnen Personen eingehen, weil jeder Versuch, meine Empfindungen ihnen gegenüber schriftlich darzutun, von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre.

Ihr wißt, daß ich die Entscheidung, ob dieses Buch bei einem Verlag zur Veröffentlichung vorgeschlagen werden soll, auf Euch übertragen möchte. Ich persönlich tendiere dazu, es nicht zu verschicken, bin aber einer endgültigen Entscheidung immer aus dem Weg gegangen, unter anderem wohl auch deshalb, weil mich eine solche Entscheidung während des Schreibens gestört hätte.

Nun, ich möchte nicht von Euch hören, ob Ihr das Buch gut oder schlecht findet. Natürlich würde ich mich freuen, wenn Ihr an der einen oder anderen Seite Euren Gefallen findet, aber nicht eine Seite ist aus diesem Grunde geschrieben worden.

Kurz: ich bitte Euch mir Eure Meinung bezüglich dieser Veröffentlichung - in schriftlicher Form, das ist mir sehr wichtig - darzutun. Ich will Euch nicht zwingen, aber Ihr sollt Euch dieser Bitte bewußt sein.

So oder so werde ich weiterschreiben, ein Leben ohne Schreiben kann ich mir zuweilen gar nicht mehr vorstellen.

Jeder von uns ist letztendlich auf sich alleine angewiesen. Und doch glaube ich, daß die persönliche Einsamkeit eines jeden einzelnen mit Leben erfüllt wird, wenn man an andere Menschen glaubt.

An Euch glaube ich, auch wenn das, was wir schaffen, so unendlich wenig, klein und unbedeutend ist.

Und glaubt mir: das, was in diesem Buch geschrieben steht, sind nur ein paar Worte.

 Der Verfasser 

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