" ... also sagte ich: 'Dann hau doch endlich ab, du 'Null' und nun ist er weg. Seit drei Stunden."

Erschöpft holt Stefanie Atem und angelt aus der Tischpackung eine Zigarette. Mit Menthol - wegen des Atems. Ach, tut das gut, sich mal so richtig aussprechen zu können. Und gab es einen besseren Zuhörer als ihren langjährigen Vertrauten Manuel?

Sie stürzt ihr Glas Rotwein in einem Zug hinunter. Aufmerksam schenkt Manuel nach.

Erwartungsgemäß unterstützt er ihre Entscheidung voll. "Habe ich dir nicht schon vor eurer Heirat gesagt, daß du dir einen ausgemachten Macho an Land gezogen hast? Ich erkenne solche Typen doch auf den ersten Blick. Außerdem ist er viel zu alt für dich. Doch du bist voll auf ihn abgefahren, weil er so 'seelenvolle Augen' und einen tollen Job hatte. Sieben deiner besten Jahre sind draufgegangen ... Und was machst du jetzt?"

Stefanie blickt betont gelangweilt auf ihren verdursteten Gummibaum. "Kein Problem, ich such' mir einen Neuen. Mit Geld ... und einen interessanten Job ... Kinder will ich auch irgendwann. Na ja, eines. Außerdem möchte ich meine künstlerischen Ambitionen und Talente nicht länger brachliegen lassen. Ich miete mir ein Atelier und schreibe mich an der Kunstakademie ein. In meinen Urlauben kann ich endlich die ganzen fashionablen Orte aufsuchen, die ich mit dem Langweiler nie zu Gesicht bekommen habe. In meiner Freizeit werde ich ... "

Mit fassungsloser Miene wird sie abrupt von Manuel unterbrochen. "In welcher Reihenfolge soll denn alles abgespult werden?"

Hierüber kann Stefanie bereits konkrete Auskunft erteilen: "Erst der 'Neue'. Mit Geld. Dann ... "

" ... dann entfällt doch alles andere wie Job und Ambitionen."

Stefanie braust auf: "Eben gerade nicht. Berufstätige Frauen, die das eigentlich gar nicht nötig hätten und so ganz nebenbei noch von sämtlichen Galerien umworben werden, sind todschick!"

Manuel läßt seinen Blick stirnrunzelnd und unauffällig zu den kümmerlichen Klecksereien an der Wand schweifen. Ob man für die Aufnahme an dieser Akademie wirklich keinerlei Talent nachweisen muß? Na ja, er will sie ja nicht von vornherein entmutigen. Außerdem kennt er sich mit Kunst überhaupt nicht aus. Vielleicht ist das an der Wand bereits ein Meisterstück? Er als Finanzbeamter hat sich mit anderen Problemen herumzuschlagen. Allein die ständige Erhöhung der Mehrwertsteuer und deren neue Berechnung sind für ihn und seine Steuerzahler (Anfangsbuchstaben: Ki - Lo) wahrlich eine Kunst für sich. Trotzdem muß er gewisse Bedenken loswerden: "Wo kriegt man denn so auf die Schnelle einen 'Neuen' mit Geld her? Du wirst mir ja nicht weismachen wollen, daß du über beträchtliche Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügst. Als du geheiratet hast, warst du immerhin erst achtzehn ... "

"Ich weiß selbst, wie alt ich war. Aber schließlich habe ich die ganzen Jahre meiner Ehe nicht unnütz vertan. Ich habe viele Romane gelesen. Da lernt man gewisse Feinheiten."

So ganz überzeugt ist Manuel noch immer nicht: "Und wo ... ?"

"Mein Gott, stellst du dich dämlich an. Bei Fuchsjagden, Vernissagen, Kreuzfahrten, Golfturnieren, Modeschauen in Paris und nicht zuletzt in den richtigen Clubs. Auch St.Tropez im Sommer und St.Moritz im Winter sind ein dankbares Pflaster. Das ist übrigens erst ein kleiner Ausschnitt der Möglichkeiten."

"Mußt du jetzt wirklich auch noch die zweite Flasche Wein aufmachen? - Seit wann kannst du denn reiten?"

Stefanies Augen leuchten auf: "Siehst du, der Reitclub. Wer sich einen eigenen Gaul halten kann, hat auch die entsprechende Knete. Und reiten lerne ich demnächst. Wozu soll ich das überhaupt?"

"Also wenn du auf Fuchsjagden ... "

"Lieber Himmel, du bist mit deinen 28 Jahren echt schon ziemlich angestaubt. Es kommt doch bei so etwas nicht auf das Reiten, sondern auf den richtigen Dreß und raffiniertes Make-up an. Glaubst du im Ernst, ich würde mich bei solch einem Anlaß auf so einen Klepper werfen, nur damit ich hinterher Knitterfalten in der Jacke und Tannennadeln im Haar habe?"

Manuel macht inzwischen einen recht geknickten Eindruck. Er hat wohl in der Tat von nichts eine Ahnung. Also verkneift er sich die Frage nach Steffis Seetauglichkeit. Statt dessen nippt er zum zweiten Mal an diesem Abend an seinem Glas Wein.

Stefanie schildert ihre Zukunft nach wie vor in den herrlichsten Farben. Der Blick ist jetzt glasig, die Aussprache verschwommen. Aber was soll's. Vor Manuel kann sie sich ja gehenlassen. Zudem ist morgen Samstag. Man kann ausschlafen.

  ***

Am nächsten Morgen um sieben Uhr wird Manuel durch seine aufdringliche Türklingel aus dem Schlaf gerissen.

Stefanie, ungeschminkt und nicht gekämmt, steht heulend vor der Tür. Sie schiebt sich energisch in sein Wohnzimmer und jammert: "Manuel, es ist so schrecklich. Für wen soll ich denn jetzt Frühstück machen, waschen, die Fenster putzen, kochen und schön sein? - Hast du vielleicht eine 'Katertablette'?" Die Euphorie des vergangenen Abends über die wiedergewonnene Freiheit ist verdammt schnell verflogen.

Manuel nimmt seine Jugendfreundin liebevoll in den Arm und drückt sie in den Sessel. "Jetzt setz dich erst mal hin. Ich koche Kaffee."

Hektisch springt Stefanie wieder auf und steuert seine Küchennische an. "Ach bitte, laß mich das doch machen. Dann fühle ich mich nicht so nutzlos. Ein Ei willst du doch bestimmt auch. Wo hast du Orangensaft, oder soll ich frisch pressen?"

Manuel schweigt - Stefanie knallt sämtliche Schranktürchen auf und wieder zu. "Hast du keinen Honig? Die Marmelade ist verschimmelt. Wieso hast du keine Diätmargarine? Wohl noch nie was von Cholesterin gehört? Eierlöffel fehlen auch in deinem Sortiment. Das ist hier wirklich ein total verlotterter Junggesellenhaushalt ... Das Salz ist zusammengeklebt. Wieso hast du keinen Süßstoff? Brauchst dich nicht zu wundern, wenn du in fünf Jahren eine Wampe hast ... Igitt, deine Tassen haben ja noch Teeränder ... Du, ich habe eine tolle Idee: Wir ziehen zusammen, bis ich den 'Neuen' gefunden habe."

Manuel, der sich zwischenzeitlich wieder im Bett verkrochen hat, hört den letzten Satz nur auszugsweise. Wie von der Tarantel gestochen fährt er hoch. Glücklicherweise kann er manchmal sehr energisch sein: "Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich liebe meinen vergammelten Haushalt."

Stefanie strahlt ihn aus ihren blutunterlaufenen Augen an: "Aber Manuelchen, es wäre doch nur vorübergehend. Du wirst sehen: Ruck, zuck habe ich mein Goldeselchen gefunden. Jetzt setz dich zuerst mal an den Tisch. Dein leckeres Dreieinhalbminutenei wird ja kalt. Entspann dich einfach und laß dich mal ein bißchen verwöhnen."

Das Eiweiß noch schlabbrig. Manuel schiebt es angewidert zur Seite und verbrennt sich am Kaffee den Mund. "Schau mal Stefanie. Wir verstehen uns seit unseren Kindertagen prächtig. Und warum? Weil wir uns nie zu nahe auf die Pelle gerückt sind. Glaub mir, es ist besser, wenn es so bleibt ... " Er redet sich den Mund fusselig, sie nickt verständnisvoll.

"Aber ich will nicht alleine bleiben. Außerdem ist es viel besser, wenn ich bei meiner Suche einen männlichen Begutachter zur Seite habe. Stell dir vor, wie leicht ich in die falschen Hände geraten könnte. Mädchenhändler und so. Kannst du das verantworten?"

"Verdammt, Stefanie. Ich möchte nicht umziehen!"

Stefanie frohlockt: "Aber das brauchst du doch gar nicht. Meine Wohnung ist groß genug. Es reicht, wenn du deine Klamotten rüberbringst. Den Rasierapparat hat die 'Null' dagelassen. Dann bist du auch schneller wieder weg, wenn ich den Neuen habe."

 

Zwei Stunden später steht sie in ihrer perfekt durchorganisierten Küche und zaubert ein leckeres Einstandsmenü. Glaubt sie. Manuel räumt seine Kleider auf die leeren Bügel der 'Null', würgt die Mahlzeit hinunter und freut sich auf das Kantinenessen der kommenden Woche.

Stefanie ist voll aufgedreht und schmiedet Pläne: "Heute abend gehen wir in einen kultivierten Club. Kennst du einen?"

"Nee, außerdem habe ich keinen Bock für ein Pils zwanzig Märker zu blechen. Weißt du überhaupt, wie hoch die Verdienstspanne von solchen Etablissements ist? Erst letzte Woche hatte ich im Amt ... "

"Mensch, hör bloß auf mit deinem langweiligen Finanzamt. Ich hatte noch nie Probleme mit Steuern und dem ganzen Schweinkram."

Worauf Manuel nur noch ein trockenes: "Mit Sicherheit nicht. Du hast ja noch nie gearbeitet" äußern kann.

Es läutet. Frau Schnepfauf, die Nachbarin, steht vor der Tür. Sonst lauert sie meist hinter dem Spion.

"Liebe Frau Knapp, ich wollte Sie wirklich nicht belästigen. Kann ich mal kurz Ihren Mann sprechen?"

"Ist leider nicht da."

"Also habe ich doch richtig kombiniert. Aber wieso haben Sie ihm die teuren Hartschalenkoffer überlassen? Die aus Kunstleder, die er mit in die Ehe gebracht hat, hätten's ja wohl auch getan."

Schritt für Schritt hat sie Stefanie zurückgedrängt, bis sie die offene Wohnzimmertür erreicht hat.

"Ist das aber nett. Der freundliche Herr von gestern abend ist ja schon wieder da."

Stefanie knurrt: "Der bleibt vorläufig."

"Daß Sie das aber auch ja der Hausverwaltung melden. Und wenn Ihr Mann es sich anders überlegt und Ihnen verzeiht?"

Jetzt platzt Stefanie endgültig der Kragen. "Vielen Dank für Ihren neugierigen Besuch. Den anderen Tratschtanten können Sie ausrichten, daß ich weder verzeihe noch melde. Die Wohnung gehört nämlich mir!"

Vom Treppenhaus aus gibt die freundliche Nachbarin noch ein verächtliches "Ha, von wegen Ihnen. Ihrem Mann gehört sie!" von sich.

[...] 

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