Inhalt:

Vorstellung der Eltern, Großeltern, Tanten und Freundinnen

Zeitgeschichte, Kultur, Brauchtum, Reisen

Episoden aus Leben, Schule und Beruf

Lebenschronik 1915 bis 1995

 

Vorwort:

In einer Zeit, in der sich gesellschaftliche Veränderungen in unserem Land atemberaubend schnell vollziehen, gerät vieles aus eigener Vergangenheit schnell in Vergessenheit.

 

Das vorliegende Buch von Cäcilie Kraus-Kolter, einer hellwachen Zeitzeugin, soll ein Stück "Spurensicherung" auch für unsere nachwachsenden Generationen sein. Cäcilie Kraus-Kolter zählt zu den wenigen Menschen, denen es gelungen ist, viele Einzelheiten aus längst vergangenen Zeiten so anschaulich und wirklichkeitsnah zu vermitteln, daß es für jeden, der dieses Buch einmal zur Hand genommen und gelesen hat, ohne viel Mühe möglich wird, sich die Geschehnisse der Vergangenheit aus dem eigenen Erleben heraus wieder stärker ins Bewußtsein zu rufen.

 

Nach den Wirren des Ersten und Zweiten Weltkrieges gab es viele existentielle Probleme zu bewältigen. Und daß alles im Leben dennoch seine eigene, einzigartige Balance haben und in ständiger Harmonie mit seiner Umgebung sein muß, wird durch die vielen persönlichen und beeindruckenden Erzählungen der Autorin sichtbar.

 

Ich hoffe, daß dieses Buch Sie, liebe Leserinnen und Leser, zum Nachdenken anregt, Erinnerungen auch bei Ihnen aufleben läßt und Jüngeren wie Älteren gleichermaßen den Wert der eigenen Lebensgeschichte deutlich macht.

  

Maria Theresia Opladen

Bürgermeisterin der Stadt Bergisch Gladbach

 

 

Dezember 1915 - Erster Weltkrieg 

Was ficht eine neue Erdenbürgerin an, mitten im ersten Weltkrieg im Dezember 1915 in Herne in Westfalen auf die Welt zu kommen? Neugier? Fragen Sie meine Eltern!

An der belgischen Front tobte der Krieg. Vier Brüder meines Vaters waren dort im Einsatz und erfüllten ihre Vaterlandspflicht. Mein Vater wurde vier Tage nach seiner Einberufung wegen eines Herzleidens wieder freigestellt.

So kam er nach diesen vier Tagen wieder nach Hause und die Freude war groß, war er doch schon 38 Jahre alt und fast ein ganzes Jahr verheiratet, als der Krieg ausbrach.

 

Nun war ich aber da, etwa acht Tage zu früh, was nichts Besonderes bedeutete; aber als Kind seiner Eltern fügt man ungewollt zwei Menschen aus verschiedenen Familientraditionen zu einer Einheit (der neuen Familie) zusammen. Beide Eltern bringen Charaktereigenschaften, aber auch soziale Aspekte ein, die nun für deren Kinder maßgebend sind für ihr ganzes Leben. Die Eltern sind nun verantwortlich für das Leben und das Wohlergehen ihrer Kinder.

Im nachfolgenden Text und anhand von alten Fotos versuche ich, mein Leben innerhalb von Familie und Umwelt darzustellen, indem ich meine Eltern und Großeltern, meinen Bruder und meine Freundinnen in Schule und Beruf vorstelle. Tagebücher und Briefe haben mir geholfen, mein Leben noch einmal an mir vorüberziehen zu lassen. Meiner Mutter muß ich heute noch dankbar sein, daß sie viele Briefe und alte Fotos aufbewahrt hat. So rankte sich Episode an Episode zu einer achtzigjährigen Kette zusammen bis zum heutigen Tag.

 

 

Meine Eltern

Mein Vater, geb. 20. 2. 1876 in Refrath im Letsch, machte seine Lehre als Holzarbeiter im Wald bei der Firma Hans Berger in Bergisch Gladbach. Nach der Lehre kam er nach Herne zur Zeche Julia als Angestellter und wurde dort Holzmeister und Magazinverwalter.

1898 wurde mein Vater eingezogen und mußte zur berittenen Artillerie des Kaisers nach Potsdam, siehe Brief (Seite 15) von 1899.

Nach der Dienstzeit kam er wieder nach Herne zur Zeche Julia. Er erzählte, daß er auch viel im Außendienst zu tun hatte, z.B. in Andernach, im Bergischen Land und in Norddeutschland. Mein Vater hatte noch einen Mitarbeiter, Herrn Heidkamp, welcher mein Patenonkel werden sollte. Ich besitze noch ein Foto und ein 5 Mark-Stück in Silber mit dem Abbild des Kaisers von ihm. Nach dreißigjähriger Tätigkeit bekam mein Vater ein Zeugnis von der Firma Berger. Er hatte als vierzehnjähriger dort in Refrath und im Königsforst bis zur Wahner Heide gearbeitet. Das war 1890. Als Junggeselle wohnte er bei einer Metzgersfamilie Engelhardt in der Crangerstraße in Herne. 1912 lernten sich meine Eltern durch diese Familie kennen und heirateten am 13.10.1913 in Herne.

Die kirchliche Trauung fand am 23. Oktober 1913 in Köln in der Kirche St. Andreas statt.

Nach der Trauung fuhr das Hochzeitspaar mit einem Rheindampfer von Köln nach Rüdes-heim. Das war dann die sogenannte Hochzeitsreise.

 

Bevor mein Vater 1929 arbeitslos wurde, mußte er jeden Sonntag nach dem Hochamt bei sei nem Chef Hans Berger, der seinen Sitz in Herne in der Bismarckstraße hatte, vorsprechen. Dieser hatte meinem Vater immer wieder versichert, daß er ihm das Geld, das er für die Rentenversicherung einsparte, persönlich auszahlen würde. So hatte er wohl jeden Monat ein ganz schönes Gehalt. Die Miete kostete damals 40 Mark, später 48 Mark, das Schulgeld für jedes Kind 20 Mark. Ich weiß noch, daß meine Großmutter aus Driburg bei ihrem Besuch den Vater gewarnt hat, daß er unbedingt für die Rente kleben sollte, er aber vertraute seinem Chef. Wie recht sollte die Großmutter haben! Nach dem Konkurs kamen schlechte Zeiten.

 

Aus meinem Tagebuch:

"Mittwoch, den 1. November 1933, Allerheiligen, mußte ich morgens von 10.00 bis 12.00 Uhr im Rathaus in Herne zum Kartoffelschälen für die alleinstehenden Arbeitslosen antreten. Ich bekam Rückenschmerzen von der Arbeit und mußte mich einen Tag ins Bett legen. Dann hatte man fünf Tage hintereinander schon um 7.00 Uhr da zu sein und bis 1.00 Uhr mittags für die Großküche Kartoffeln zu schälen. Dafür bekam ich 2 Mark im Monat. Zwischendurch durfte ich Kübel waschen, zwei andere Mädchen wuschen mit einem großen Schaumlöffel die Kartoffeln in großen Wannen.

Vom Kartoffelschälen bekam ich Blasen an den Händen und Schnittwunden an den Fingern. Nach 5 Tagen Arbeit gab es 5 Tage frei. Samstag und Sonntag, den 11. und 12. November 1933 wurden 22 Zentner Kartoffeln von 30 bis 35 Personen geschält."

Es gab genug Arbeitslose, die mit solchen und ähnlichen Arbeiten beschäftigt werden konnten, z.B. Straßenfegen, Gartenarbeit im Stadtgarten oder Wege im Gysenberg anlegen. Da mein Vater arbeitslos war, und er als Mann nicht dazu bereit war, solche für ihn erniedrigende Arbeit zu verrichten, habe ich dann diese Arbeit für ihn übernommen. Ich war 1933 siebzehn Jahre alt und nicht mehr in der Schule. Trotzdem war es auch für mich peinlich, dieses zu tun. Gott sei Dank dauerte es nicht zu lange, da wir ja am 29. Dezember 1933 nach Refrath in unser neues Haus umzogen. Und das gab mir Mut. [...] 

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