"DIE MUSIK DEINER

FLÖTE IST IN MEINEN

OHREN HERRLICHER ALS

DAS GEMURMEL DES

WASSERS IM FRÜHLING"

 

Im Jahre der Pocken, der großen Krankheit, in dem viele Sioux starben, kam er ins Lager, gebracht von den Jägern.

Der Morgennebel hatte sich verzogen, und der Wind, schon mit der Kühle des Herbstes durchsetzt, bewegte sich in den Bergen und im Gras der Prärie, als die Jäger ihn in einer leeren Wolfshöhle fanden. Woher er kam, wer er war, wußte niemand. Ein Findelkind, das kein Kleinkind mehr war, gekleidet in einen Wolfspelz. 'Der Junge ist bei den Wölfen aufgewachsen", sagten die Jäger, die ihn gefunden hatten. In ihm wohnt der Wolfsgeist."

Regen-Frau, deren Sohn die Pocken unlängst zur Wohnstätte der Geister gebracht hatte, nahm ihn als Sohn an. So kam der Zögling der Wölfe ins

Lager, im Jahre der Pocken, im Monat der gelben Blätter, aber in ihm befand sich ein stummer Geist, und aus seinem Munde wurde nie ein Wort gehört. Darum wurde er 'Der-der-nicht-spricht' genannt.

 

Die Buffaloherden zogen auf ihre Winterweiden und die Sioux ins Winterlager. Die Erde zitterte vor Kälte, im abgestorbenen Gras verweilten ihre Seufzer und die Wolken ließen den ersten Schnee des Herbstes herunterfallen.

Zu dieser Zeit merkte Regen-Frau das erste Mal.. daß ihr Kind, das nicht sprach, oft träumte.

'Vielleicht wird Der-der-nicht-spricht eines Tages vom Wapiti oder Buffalo träumen', dachte sie sich. 'Dann wird er vielleicht ein großer Medizinmann werden. Wakan Tanka, der Große Geist, hat ihn zu uns geschickt.'

 

Nach dem Winter kehrte der Frühling zurück, nach dem Frühling der Sommer und nach dem Sommer ein neuer Herbst und ein neuer Winter. Immer wieder vergingen die Jahreszeiten, um wieder zurückkehren zu können, wie es seit Anfang aller Zeiten gewesen ist.

Der-der-nicht-spricht wuchs heran.

Er sah, wie die Krieger gingen, bewaffnet, auf den Kampf vorbereitet, um den feindlichen Stämmen Crow, Shoshone und Pawnee, begegnen zu können. Er hörte von den Heldentaten der Krieger, er hörte auch von den Kriegern, die aus dem Kampf nicht zurückkamen, weil die Waffe des Feindes stärker gewesen war und sie auf den Geisterpfad geschickt hatte.

Alte Männer erzählten ihm von den Zeiten, wo alle vier Winde, der Westwind, der Nordwind, der Ostwind und der Südwind entstanden, und wie Tokahe, der erste Mensch, auf die Erde kam.

-- Damals, am Anfang aller Zeiten, lebte der alte Mann Waziya mit seiner Frau Wakanka unter der Erde und sie bekamen eine Tochter, Ite. Diese gebar dem Windgott Tate vier Söhne, die die vier Winde sind.

Aber die schöne Ite, verführt von dem listigen Iktomi, begehrte Macht und sie brachte die Sonne dazu, daß diese den Mond, ihre Gemahlin, verließ. Und darum verurteilte Skan, der Himmel, die schöne Ite zum Leben auf der Erde, wo sie als Zweigesicht wohnen mußte: die eine Gesichtshälfte war schön, die andere aber häßlich. Ite würde auch noch einen fünften Sohn zur Welt bringen, Wirbelwind, den Wind der Zerstörung.

Zu jener Zeit wohnten die Menschen noch nicht auf der Erde. Der Wolf als ihr Bote lockten Ite und Iktomi die ersten Menschen auf die Erde, indem sie ihnen Fleisch zum Essen, schöne Kleider zum Anziehen und Tipis zum Wohnen versprachen. Und der Wolf führte die Menschen, Tokahe und drei andere tapfere Männer, aus der Höhle auf die Welt hinaus. Dort sahen sie Ite, die ihnen als schöne junge Frau erschien, und Iktomi in Gestalt eines schönen jungen Mannes. Tokahe und seine Gefährten sahen auch Wild und sie kosteten Fleisch und zogen schöne Kleider an.

Und nachdem sie von dieser Reise zurückgekehrt waren, erzählten sie ihren Stammesleuten von allem, was sie gesehen hatten. Die ältesten und weisesten von ihnen aber warnten sie.

Trotz Warnungen machte sich Tokahe auf und ging auf die Erde zurück. Und eine Gruppe von Menschen, Männer, Frauen und Kinder, folgte ihm. Aber auf der Erde sahen sie die häßliche Seite des Gesichts Ites wie auch die Falschheit Iktomis, und sie verirrten sich und hungerten.

Da aber erschien ihnen der alte Mann Waziya mit seiner Frau Wakanka und sie zeigten ihnen, wie man jagt und wie man Kleider und Tipis macht. So bekam die Erde ihre ersten Menschen, von denen die Sioux abstammen. --

Das und vieles mehr erzählten die alten Leute, als der Schneesturm draußen heulte oder als der sanfte Wind in warmer Sommernacht über die Prärie schlich. Der-der-nicht-spricht hörte ihnen zu und lernte alles, aber der stumme Geist verließ ihn nicht.

Im Jahre nach dem Winter des starken Schnees wurde Der-der-nicht-spricht von den Jägern zum ersten Mal zur Jagd mitgenommen. Er wurde ein geschickter Jäger dessen Pfeil und Speer nur selten ihr Ziel verfehlten, und so nahm er auch an der großen Buffalotreibjagd teil.

Aber er ergriff nie eine Waffe, um sie gegen einen anderen Menschen zu erheben, nicht einmal gegen Crow oder gegen einen anderen Feind erhob er seine Waffe.

Oft saß er abends allein und lauschte dem Wind, der das Heulen des Wolfes von den Bergen in sein Ohr mit sich brachte. Und die Krieger sprachen über ihn:

In ihm wohnt der Wolfsgeist und seine Hand ist sicher und sein Auge ist scharf. Aber trotzdem wird aus ihm kein Krieger."

Und Großer Vogel sagte zu Regen-Frau: "Die Zeit ist gekommen, daß Der-der-nicht-spricht auf die Höhe des großen Hügels steigt und seine erste Vision empfängt. Vielleicht wird dann auch der stumme Geist ihn verlassen und sein Mund wird sich zum Sprechen öffnen."

So bauten Großer Vogel und Der-der-nicht-spricht aus Baumzweigen und Buffalohaut eine Schwitzhütte und setzten sich hinein ...

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